Die Schuld wird nie vergehen
langsam weiter, bis er durch ein Fenster spähen konnte. Hinten im Haus brannte Licht, aber es war kein Laut zu hören.
Harney schlich an dem Fenster vorbei zur Haustür. Sie war verschlossen. Ihm fiel ein, dass es auf der Rückseite eine Terrassentür gab. Der Deputy eilte um die Ecke. Nichts. Er visierte mit dem Lauf seiner Waffe den Rasen an, während er zur Rückseite des Hauses schlich. Die Angst drückte ihm wie eine eiserne Klammer die Brust zusammen. Seine Erinnerung hatte ihn nicht im Stich gelassen. Er fand die Terrasse. An ihrem Ende stand ein Grill, und Harney erkannte in der Dunkelheit die Umrisse des Rennbootes, das am Steg schaukelte.
Ein Geräusch auf dem Pfad zum Tennisplatz ließ ihn herumfahren. Ein Gespenst taumelte aus dem Wald. Harney richtete die Mündung seiner Waffe auf die Erscheinung.
»Stehenbleiben!« rief er. Es war eine Frau, die nun wie angewurzelt stehen blieb, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Sie trug ein langes, weißes T-Shirt und schwankte unsicher
»Er ist tot.« Sie klang benommen.
»Wer ist tot?« Harney suchte den Rasen und den Wald nach einer verdächtigen Bewegung ab.
»Carl hat ihn umgebracht.«
Die Terrassentür stand offen. Zuerst hatte Harney das nicht bemerkt, doch allmählich gewöhnten seine Augen sich an die Dunkelheit.
»Ist jemand im Haus?«
»Er ist tot«, wiederholte die Frau, während sie blicklos in die Finsternis starrte. Harney war sich nicht sicher, ob sie seine Frage gehört hatte und sich überhaupt seiner Anwesenheit bewusst war.
»Gehen wir hinein«, forderte er sie sanft auf und ging rückwärts zum Haus. Während er den Rasen im Auge behielt, beobachtete er die Frau aus dem Augenwinkel. Schließlich streckte er die Hand aus und legte sie auf ihre Schulter. Unter seiner Berührung zuckte sie zusammen und wich hastig einen Schritt zurück. Immerhin schien sie Harney nun endlich wahrzunehmen.
»Alles okay. Ich bin der Deputy. Gleich kommt noch mehr Polizei.«
Sie traten durch die Terrassentür und standen in der Küche. Harney tastete nach einem Lichtschalter. Als das Licht aufflammte, sah er, dass die Frau wunderschön war. Er schätzte sie auf etwa Mitte Zwanzig. Sie hatte kurzes, blondes Haar und himmelblaue Augen.
»Sie sagten, jemand sei tot? Ist er drinnen?«
Sie nickte.
»Können Sie mir zeigen, wo?«
Die Frau deutete auf den Flur, der von der Küche ins Haus führte. Harney erinnerte sich daran, dass von dem Flur ein kleines Arbeitszimmer abging und an seinem Ende ein großes Wohnzimmer lag. Das Licht, das er von draußen gesehen hatte, brannte im Arbeitszimmer. Er zog die Terrassentür zu und schloss sie ab. Dann dirigierte er die Frau zu einem Stuhl an dem kleinen Tisch in einem Erker, von dem aus man auf den See hinausblickte.
»Sie sagten, ein Mann namens Carl habe jemanden getötet. Ist dieser Carl noch hier?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er ist weg?« fragte Harney, um sicherzugehen.
Die Frau nickte.
»Gut. Sie bleiben hier. Ich bin sofort wieder da. Okay?«
Sie nickte wieder, aber ihr Körper versteifte sich. Offenbar flößte ihr die Vorstellung, allein zu bleiben, Angst ein.
»Es ist alles in Ordnung. Meine Kollegen sind gleich hier.«
Harney wartete einen Moment auf ihre Antwort. Als die Frau nicht reagierte, schlich er mit vorgehaltener Waffe durch den Flur. Schon nach wenigen Schritten stieg ihm ein Geruch in die Nase, der Erinnerungen an einen Tag vor etwa einem Jahr heraufbeschwor. Damals war er einer Anzeige wegen eines häuslichen Streits nachgegangen und in ein blutbespritztes Schlafzimmer geraten, in dem sich gerade ein Selbstmord ereignet hatte. Der Deputy schluckte schwer und musste sich zwingen weiterzugehen. Als er die Tür des Arbeitszimmers erreichte, wirbelte er um die Ecke ... Bei dem Anblick, der ihn erwartete, drehte sich ihm der Magen um, und er konnte nur mit Mühe den Impuls unterdrücken, sich zu übergeben. Aus der Ferne hörte er das Heulen von Sirenen. Unmittelbar vor ihm befand sich Eric Glass.
Der Kongressabgeordnete saß auf seinem schwarzen, ledernen Schreibtischstuhl. Man hatte ihm Arme und Beine nach hinten gebogen und mit Klebeband hinter dem Stuhl gefesselt. Damit war er jeder Misshandlung schutzlos ausgeliefert. Glass trug nur eine Pyjamahose aus Baumwolle. Sie war von dem Blut durchtränkt, das aus den tiefen Wunden gesickert war, die seinen Oberkörper übersäten. Sein Kopf hing schlaff nach vorn, das Kinn ruhte auf seiner Brust. Harney hockte sich hin und warf einen
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