Die Schwarze Festung
und es schien nicht eine einzige Zelle in ihrem Körper zu geben, die nicht schmerzte. Sie fühlte sich, als wäre sie unter eine tonnenschwere Presse geraten und eine halbe Stunde dort liegengeblieben, während jemand mit wachsender Begeisterung den Schalter betätigte, um herauszufinden, was das Gerät leisten konnte. Unsicher und mühsam drehte sie sich auf den Rücken und öffnete die Augen. Über ihr schwebte die Erde wie ein riesiger blauer Ball; der Anblick war ihr noch niemals so schön und beruhigend vorgekommen wie in diesem Augenblick. Sie verstand plötzlich, wieso French und seine Leute glaubten, daß die Seelen der Verstorbenen zur Erde gingen. Wieder verging fast eine Minute, während sie einfach dalag, atmete und an nichts dachte, aber dann meldete sich ein Teil ihres Verstandes zu Wort und erklärte ihr, daß sie vielleicht nicht mehr allzu lange hier liegen und diesen Anblick genießen würden, wenn sie nicht machten, daß sie wegkamen. Mit einem Ruck richtete sie sich auf und sah sich um. Das erste, was sie erblickte, war Gurks Gesicht, und was sie sah, das erschreckte sie zutiefst. Der Zwerg blutete aus Nase, Ohren und Augen, und da, wo seine Haut nicht rot von seinem eigenen Blut war, hatte sie eine schmutzig-graue Färbung angenommen. Sein Blick war verschleiert; er schien alle Mühe zu haben, sich trotz der praktisch nicht vorhandenen Schwerkraft aufrechtzuhalten. Hastig kroch Charity zu ihm hinüber und berührte seinen Helm. »Was ist los mit dir?« fragte sie. Gurk stöhnte. Sein Blick klärte sich für einen kurzen Moment, verschleierte sich dann wieder, und als er antworten wollte, brachte er im allerersten Moment nur ein unverständliches Keuchen zustande. »Ist alles in Ordnung mit dir?« fragte Charity besorgt und kam sich im gleichen Moment ebenso hilflos wie dumm vor. Natürlich war nicht alles in Ordnung mit dem Zwerg. Trotzdem zwang sich Gurk zu einem angedeuteten Kopfschütteln, stöhnte erneut und sah sie aus Augen an, die trüb vor Schmerz waren. »Schwerkraft ...« stöhnte er. »Ich ... ertrage sie nicht so gut wie ... ihr.« »Was für eine Schwerkraft?« fragte Charity. Gurk stöhnte wieder. Er kippte nach hinten, fing sich im letzten Moment und richtete sich wankend wieder auf. »Gravitationswellen«, murmelte er. »Die Kugeln. Sie ... bestehen aus ... Neutronium.« Charity riß erstaunt die Augen auf, blickte automatisch die gigantischen, rasenden Kugeln über sich noch einmal an und wandte sich dann wieder dem Zwerg zu. »Neutronium?« wiederholte sie ungläubig. »Du ... du willst behaupten, sie könnten ... Neutronium bearbeiten?« Trotz seines miserablen Zustandes versuchte Gurk zu lachen, brachte aber nur ein Krächzen zustande. »Sie können noch ganz andere Dinge«, murmelte er. Er atmete tief und schwer ein. »Sie können uns zum Beispiel den Arsch aufreißen, wenn wir noch lange hier herumhocken und uns gegenseitig versichern, wie gut es uns doch schon wieder geht.« Charity starrte ihn eine Sekunde lang verblüfft an, dann stahl sich gegen ihren Willen ein Lächeln auf ihre Lippen. »Ich glaube, dir geht es schon wieder besser«, sagte sie. Gurk knurrte etwas Unverständliches, und Charity richtete sich vorsichtig auf und beugte sich zu French herab. Er schien unverletzt zu sein, zitterte aber am ganzen Körper und leistete im ersten Moment Widerstand, als sie ihn auf die Füße ziehen wollte. Sein Blick hing wie gebannt an der blauen Riesenkugel der Erde, die zwei Drittel des Himmels über ihnen beherrschte. Charity fragte sich, was in diesem Moment in ihm vorgehen mochte. Dann drehte sie sich einmal im Kreis, um sich umzusehen. Jetzt, als sie wußte, wonach sie suchen wollte, entdeckte sie es fast sofort. Wie es aussah, hatten sie Glück gehabt. Sie befanden sich nur hundert Schritte von einem klaffenden Loch in der Außenhülle der Orbit-Stadt entfernt. Ein Gewirr aus verborgenen Stahlträgern und zerschmolzenen, zerfetzten Panzerplatten verwandelten seine Ränder in eine fast unüberwindliche Barriere. Dahinter war das hintere Drittel eines gewaltigen Etwas zu sehen, das beinahe die Form einer ins Gigantische vergrößerten, plumpen Pfeilspitze hatte. Obwohl das Bild damals tagelang über alle Bildschirme der Erde geflimmert war und Charity es in allen Einzelheiten kannte, ließ der Anblick sie schaudern. Die NASA hatte niemals herausgefunden, was damals wirklich geschehen war, denn der Unfall hatte sich nur wenige Tage vor der Invasion
Weitere Kostenlose Bücher