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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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–, wäre nicht stark genug gewesen, Mr. Stonex an seiner Haustür zu überwältigen, zu erwürgen und die Leiche durch die Wohnküche zu schleifen.
    Und obwohl Miss Napier fast richtig geraten hatte mit ihrer Vermutung, daß der Mörder – oder eigentlich die Mörder – sich Einlaß verschafft hatte, indem er einige Minuten vor der Zeit an die Straßentür geklopft hatte, zu der Mr. Stonex den Kellner erwartete, geschah dies bereits um vier Uhr und nicht erst um halb sechs. Zehn Minuten später, als ich eintraf, war der alte Herr bereits tot.
    Ich kann mir vorstellen, daß er seine Angreifer erkannte. Einen davon kannte er sogar sehr gut, wenngleich er ihn fast vierzig Jahre lang nicht zu Gesicht bekommen hatte. Den anderen hatte er vermutlich nur ein einziges Mal aus der Nähe gesehen, als er kam und seinen Anteil des Erbes forderte, der ihm seiner Meinung nach zustand. (Danach hatte Mr. Stonex begonnen, derart ausgeklügelte Maßnahmen für seine Sicherheit zu ergreifen.)
    Die Mörder mußten sich als gerechte Rächer gefühlt haben und von der Rechtmäßigkeit ihrer brutalen Tat überzeugt gewesen sein. Für Erklärungen war es zu spät, aber ironischerweise war Mr. Stonex weit davon entfernt, sich des Verbrechens schuldig gemacht zu haben, das sie ihm vorwarfen. Miss Napier hatte Wochen damit zugebracht, die alten Akten der Thurchester und County Bank zu durchstöbern (welche an die Somerset und Thurshire Bank verkauft und ihr eingegliedert worden war), und hatte herausgefunden, daß die Behauptung von Quitregards Großvater korrekt gewesen war. Als Mr. Stonex die Bank im Alter von zweiundzwanzig Jahren nach dem Tod seines Vaters geerbt hatte, machte er eine fürchterliche Entdeckung: Sie war vollkommen bankrott. Obwohl Anleihen im Wert von fünfundsiebzigtausend Pfund in Umlauf waren, hatte sie enorme Zahlungsverpflichtungen und keinerlei Reserven, so daß sie sich am Rande des Zusammenbruchs befand. Sein Vater hatte sie seit Jahren geplündert, zudem hatte er das Geld von Hunderten von Leuten unterschlagen, die ihre Ersparnisse bei der Bank deponiert, Hypotheken auf ihre Grundstücke aufgenommen oder Bankanleihen gekauft hatten. Ihr Leben und das aller, die von ihnen abhingen, konnte durch einen Zusammenbruch der Bank zerstört werden. Und obwohl ihn die Behandlung durch seinen Vater zutiefst verletzt hatte, hatte der junge Stonex ihn auf eigentümliche Weise geliebt. Deshalb schreckte er vor dem Gedanken zurück, daß sein Andenken durch das Bekanntwerden seines Betrugs beschmutzt werden könnte. Und so hatte er das Kunststück versucht, die Finanzen der Bank wieder in Ordnung zu bringen, indem er einen komplizierten Balanceakt vollführt und alles eingehende Geld zur Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen verwendet hatte, ohne seine leitenden Angestellten auch nur ein Zeichen von Schwierigkeiten erkennen zu lassen. Vertrauen war alles. Solange alles gut aussah, würden die Anleihen der Bank weiter akzeptiert werden. Das war die heimliche Heldentat, die er mir gegenüber angedeutet hatte.
    Er hatte es nicht gewagt, seiner Schwester die Wahrheit zu sagen, weil er sich nicht darauf verlassen wollte, daß das lebensfrohe junge Mädchen das Geheimnis bewahren würde; und wenn der Verdacht aufkam, daß die Bank in Schwierigkeiten sein könnte, war ihr Zusammenbruch unvermeidlich. Deshalb hatte er die strikten Sparmaßnahmen über seine Schwester verhängt, für die sie keine Rechtfertigung sah. Ebensowenig wagte er es, einen Ehevertrag für sie abzuschließen; und weil er ihr das nicht erklären konnte, glaubte sie, daß er ihr Leben ruiniert habe, was sie ihm nie verzieh. Als sie schließlich durchbrannte, mußte das trotz der Schande, die ihre Tat mit sich brachte, eine Erleichterung für ihn gewesen sein. Und als seine Schwester volljährig wurde und er ihr mitteilte, daß es nichts zu erben gäbe, sagte er die Wahrheit. Erst nach dreißig Jahren harter Arbeit, ununterbrochenem Fleiß und schmerzlicher Sparsamkeit (die ihm zu einer eingefleischten Gewohnheit wurde, von der er auch nicht abließ, nachdem sie schon lange nicht mehr notwendig war), war es ihm gelungen, die Bank und ihre Kunden zu retten.
    Seine Schwester und sein Neffe, der ihn mit seinen kräftigen Händen erwürgt hatte, die er einige Stunden später bei der Begegnung mit Dr. Courtine so fasziniert betrachtete, hatten von all dem keine Ahnung, als sie die Leiche des alten Mannes in die Eingangshalle schleiften. Danach mußten sie den Zettel

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