Die schwarze Schatulle
waren vier und auf jedes war etwas Schreckliches gemalt. Das heißt, mich erschreckten die Bilder gar nicht, ich bin schon lange kein kleines Kind mehr, aber ich war sicher, dass sie Benji Angst eingejagt hatten: ein grüner Galgen und ein schwarzer Totenkopf, eine große Hand, von der Blut tropfte. Unter dem Galgen und unter dem tropfenden Blut stand, als wäre das nicht genug, auf Englisch und Hebräisch noch etwas. Auf einem Blatt stand: »Wenn nicht – morgen Bilder.« Auf einem andern: »Denk an mich!« Auf dem dritten: »Heute Nacht werden die Geister der Toten kommen.« Und auf dem vierten: »Vergiss den Friedhof nicht!« Auf jedem Blatt stand eine Zahl. Auf einem 478, auf dem zweiten 339, auf dem dritten 550 und auf dem vierten 677.
Ich fragte die beiden andern, ob sie eine Ahnung hätten, was die Zahlen bedeuten könnten. Aber sie wussten es auch nicht.
Joli machte den Kleiderschrank auf und schaute hinein. Sie stöberte ein wenig herum, schaute hinter die Hemden und Hosen, fand aber nichts Besonderes. Dann kniete sie sich auf den Boden und schaute unter das Bett. »Hier ist was«, sagte sie und zog eine Schuhschachtel heraus.
Wir setzten uns um die Schachtel herum auf den Teppich und plötzlich kam es mir vor, als hörte ich Geräusche von unten. Ich ging leise aus dem Zimmer, schaute nach rechts und links, aber es war nichts. Nur ein Fenster im Flur bewegte sich, als wäre Wind. Ich ging zurück und sagte, einer von uns müsse unten an der Tür Wache stehen und uns notfalls warnen.
»Wieso haben wir nicht gleich dran gedacht«, rief Joli und wartete einen Moment. »Gut, dann geh ich runter.«
Sie wartete noch einen Moment. Ich schaute Uri an, bis er unwillig sagte: »In Ordnung, ich gehe. Ich hab den Wink verstanden.«
»Wache stehen ist ein wichtiger Auftrag«, sagte ich. »Und du bist der Schnellste von uns dreien.« Ich wollte nicht sagen, dass er der Kleinste war und man ihn deshalb am wenigsten hören oder sehen würde. Uri verließ langsam das Zimmer. Joli und ich nahmen den Deckel vom Karton und kippten den Inhalt auf den Teppich.
Es gab einen Totenschädel als Schlüsselanhänger und kleine weiße Knochen, die aussahen, als könnten sie von Hühnern oder von einer Katze stammen. Es gab auch ein Paar Handschellen und eine kleine Puppe in der Form eines dicken Jungen mit kurzen Hosen und mit vielen Nadeln. Das heißt, jemand hatte Nadeln in die Puppe gesteckt, nicht nur in den Körper, sondern auch in den Kopf. »Das ist eine Voodoo-Puppe«, sagte Joli und streichelte mit dem Finger drüber. Sie traute ihren Augen nicht. »Das haben afrikanische Zauberer erfunden, eine Puppe in der Form eines Menschen, den man nicht mag. Und dann steckt man Nadeln hinein, um auch die Person zu durchbohren.« Das wusste ich bereits, aber ich hielt den Mund. Joli sagte: »Genau so eine Puppe hat Nimrod vor einem Jahr bekommen, beim Mörderspiel, wir haben nie herausgekriegt, wer …« Sie schwieg.
Ich hörte gar nicht richtig zu, ich starrte das Geld an. Denn es war sehr, sehr viel Geld in der Schachtel. Ich zählte es. Es waren eintausendzweihundert Schekel.
»Das ist nicht der Platz von dem Geld, von dem du erzählt hast, stimmt’s?«
Statt zu antworten stand ich auf, ging hinaus auf den Flur zu dem eigentlichen Versteck für das Geld und hob ein paar Bücher im Regal hoch. Da lag kein einziger Schekel mehr. Noch nicht mal eine Agura.
Ich nahm die Zettel mit den Drohungen, faltete sie zusammen und steckte sie in die Tasche. Das Geld legte ich zurück in die Schuhschachtel. Joli schob sie mit dem Fuß wieder unter das Bett.
»Stiehlt er Geld von seinen Eltern«, fragte sie. »Hast du das gewusst?«
»Früher hat er nicht gestohlen«, protestierte ich. »Das hätte ich gemerkt.«
Ich spähte durch die Spalten im Rollladen nach draußen. Es war stockdunkel.
»Wieso passen sie nicht auf? Warum haben sie das nicht gemerkt?«
»Vielleicht hat er es erst heute genommen«, sagte ich. Aber ich war nicht sicher. In diesem Haus merkte schließlich niemand etwas. Auf Zehenspitzen gingen wir hinunter. Uri stand in der Tür und wartete. Er machte eine Handbewegung zum Zeichen, dass alles in Ordnung sei. Wir gingen durch das Tor und zogen es leise hinter uns zu. Ein paar Minuten später waren wir am Auto. Hirsch erwartete uns am Straßenrand. Als wir eingestiegen waren, machte er die Scheinwerfer an.
Wir zeigten ihm die Zettel und erzählten ihm alles andere. Von dem Geld, von den kleinen Knochen, von der
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