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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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es wäre ja noch nicht zu spät. »Zu spät und zu früh«, sagte er, »das ist nur in Kopf von Menschen. Uhr hat nicht zu spät oder zu früh.« Plötzlich sah ich meinen Vater vor mir, wie er im Sessel saß, die Hand auf dem breiten Teil der Lehne, und wie er vor sich hin starrte. Etwas in mir zog sich zusammen.
    Wir drehten noch eine Runde, aus einer anderen Richtung, und erreichten eine schmale Straße, die wirklich bis nah hinter das Haus führte. Hirsch hielt das Auto an. Wir stiegen leise aus und liefen zu Fuß zur Mauer. Hirsch ging von einem Stein zum nächsten und prüfte, ob es vielleicht irgendwo eine Öffnung gab. Der Hund fing an zu bellen, und wie! Hirsch gab uns ein Zeichen, zum Auto zurückzugehen.
    Es war halb elf und stockdunkel. Hirsch schlug vor, ich solle zum Tor gehen und klingeln. Vielleicht würde uns Benji ja aufmachen. Die drei blieben zurück, ich stieg allein hinauf. Dann stand ich an dem schwarzen Tor und klingelte. Einmal, zweimal, dreimal. Auch im zweiten Stock, bei Benjis Mutter, waren die Rollläden herabgelassen. Es sah aus, als wäre keiner da. Aber dieses Haus sah immer so aus, da konnte man nicht sicher sein. Der Hund hörte nicht auf zu bellen und ich hörte auch, wie er immer an der Mauer hin und her raste. Ich kletterte hoch und schaute hinüber. Alles sah ganz normal aus, das Gras wurde von dem eingeschalteten Rasensprenger bewegt. Plötzlich hörte der Hund auf zu bellen und sprang an der Mauer empor. Direkt vor mir riss er das Maul auf und seine feuchte, rote Zunge sah aus wie blutiges Fleisch beim Metzger. Bedrohlich, als würde ich auch bald so aussehen. Schnell sprang ich wieder runter und hörte, wie er mir nachbellte, bis ich zum Auto kam.
    Vermutlich sah ich auch so aus wie jemand, der angebellt worden war, denn Hirsch betrachtete mich und sagte: »Schabi, du weißt, Untersuchung fängt nicht an und ist fertig in einer Minute.« Und dann erklärte er uns, um Nachforschungen anzustellen, brauche es sehr viel Geduld, denn sie könnten sehr, sehr lange dauern. Mir fielen die Frikadellen ein und ich überlegte, jetzt sei vielleicht der richtige Moment, sie zu benutzen. Und dass Hirsch draußen vor der Mauer auf uns warten könnte, mit dem Fluchtwagen.
    »Aber wie kommen wir überhaupt rein«, fragte ich plötzlich und Hirsch stimmte zu, dass das ein Problem war. Ich dachte an die Feilen und das Schlüsselbund und fragte, ob er uns das Tor öffnen könne.
    »Das ist nicht Gesetz«, sagte Hirsch. Ich hatte mich an seine seltsame Redeweise inzwischen gewöhnt und übersetzte für Uri: »Hirsch meint, das ist ungesetzlich.«
    Trotzdem öffnete Hirsch seinen Rucksack, nahm die Alufolie mit den Frikadellen heraus und drückte sie mir in die Hand. Dann kam er aus dem Auto und stieg mit uns den Hang hinauf. Wieder klingelte ich ein paar Mal und wieder fing der Hund an zu bellen.
    »Jetzt werfen«, sagte Hirsch und Joli tröstete Uri: »Mach dir keine Sorgen, ihm wird nichts passieren. In den Frikadellen sind nur Schlaftabletten drin.«
    Uri, der die Vorbereitungen nicht mitbekommen hatte, riss die Augen weit auf, aber er sagte kein Wort. Wir warteten einige Minuten. Uri war auf die Mauer geklettert, um hinüberzuspähen. »Er frisst sie, alle beide«, berichtete er.
    Hirsch nickte. »Sehr gut. Ist großer Hund, aber in einer Viertelstunde er schläft. Tablette arbeitet nach Gewicht.«
    Ich erklärte Uri, dass die Wirkung bei einem kleinen Hund schneller einsetzte als bei einem großen.
    »Sag mal, hältst du mich für blöde«, fragte Uri gereizt. »Das ist wie mit Aspirin, stimmt’s?«
    »Genau, hängt ab von Gewicht«, sagte Hirsch. Wir setzten uns unten an die Mauer und warteten.
    Es war sehr seltsam, in der Nacht dazusitzen und zu warten. Beim Kiosk hatte die Dunkelheit der Straße geherrscht und jetzt herrschte die Dunkelheit des Hügels, die ganz anders war. Außer dem Hund hörten wir noch alle möglichen fernen Geräusche das Klagen eines Nachtvogels und irgendwo in der Nähe zirpte eine Zikade.
    Hirsch fragte, ob das Haus auch eine Warnanlage habe. Ich schüttelte den Kopf. »Wenn es so wäre, wüsste ich das bestimmt.«
    Eine Viertelstunde später hörten wir tatsächlich nichts mehr von dem Hund. Uri kletterte auf die Mauer und verkündete: »Der Hund ist erledigt.« Er stützte sich auf und schwang sich auf die andere Seite. Gleich darauf hörten wir den Riegel quietschen und die Tür ging auf. Hirsch schaute mich und Joli an. »Okay«, sagte er. »Ich warte im Auto.

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