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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Erklärung gehabt, die alle gleich weit von der Wahrheit entfernt gelegen hätten.« Sie wandte sich zu dem Arzt um und redete mit honigsüßem Lächeln auf ihn ein. Er riss die Augen auf, machte eine indignierte Miene, schüttelte den Kopf und verneigte sich schließlich zum Abschied knapp vor mir. Beim Hinausgehen trank er noch schnell den letzten Schluck Wein aus seinem Becher.
    »Ich habe ihm gesagt, dass bei Ihnen zu Hause andere Sitten herrschen und Sie sich erst noch bedenken müssen. Das schafft ihn uns vom Hals.«
    »Und jetzt? Was geschieht weiter?«
    »Ich werde mich selbst darum kümmern. Ihr Männer habt keine Ahnung, was eine Frau braucht.«
    Sie schritt brüsk an ihrem Mann vorbei, eine schlanke Frau mit herben, doch ansprechenden Gesichtszügen, die gewohnt war, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Vermutlich machte sie das zur Außenseiterin unter ihren Geschlechtsgenossinnen; es sei denn, man erkannte ihre Herkunft aus dem als exotisch geltenden Herzogtum Mailand als mildernde Umstände an. Ich fragte mich, ob ihre deutlich zur Schau getragene Verärgerung mit dem Arzt oder mit mir oder mit der Welt im Allgemeinen zu tun hatte. Manfridus stand in der großen Bogenöffnung zur Küche und warf mir ein entschuldigendes Lächeln zu, während er auf einer seiner hilfreichen Nüsse herumkaute. Ich stieg die enge Treppe zum Dachgeschoss hinauf, um endlich das zu tun, wonach es mir am meisten verlangte: nachzusehen, wie es meiner Gefährtin ging.
    Jana saß halb aufgerichtet auf dem Lager, das Clara Manfridus und Julia ihr bereitet hatten. Sie war blass, aber bei unserer Ankunft in Venedig hatte sie noch schlechter ausgesehen. Die Schatten unter ihren Augen waren nicht mehr ganz so tief, und sie hatte sich schon wieder weit genug erholt, um sich von Julia kämmen zu lassen. Sie genoss die Bewegungen sichtlich, mit denen Julia den Kamm durch ihr honigfarbenes Haar gleiten ließ. Als ich mit dem üblichen Gepolter zur Tür hereinkam, blickte sie auf. Die venezianischen Architekten hatten ihre Türdurchlässe für deutlich schmalere Schultern als die meinen konstruiert, und es gab kaum eine Tür, in der ich in meiner aufwändigen florentinischen Kleidung nicht zuerst hängen blieb, bevor ich mich hindurchwinden konnte.
    Ich sah Jana an, und eine Woge der Liebe für sie überkam mich gleichzeitig mit der Sorge, die seit dem Tod meiner Frau Maria vor neun Jahren meine stete Begleiterin geworden war. Auf dem Weg von Florenz nach Venedig hatte sich Janas Gesundheitszustand rapide verschlechtert, und kurz vor der Lagunenstadt hatte ich sie ohnmächtig in der Tragesänfte gefunden, die seit einigen Tagen ihr Pferd ersetzt hatte. Ich wusste nicht einmal, wie lange sie schon so in der Sänfte gelegen hatte, von den Schritten der beiden Maultiere grob herumgestoßen. Ich schüttelte sie so lange und schrie auf sie ein, bis sie wieder zu sich kam, wobei mein eigener Herzschlag in meinen Ohren mir kaum weniger laut als mein Gebrüll erschien.
    Ich schrieb ihre schlechte Verfassung der Aufregung in Florenz zu. Jana stellte diesbezüglich keinerlei Vermutungen an. Sie war der Meinung, es würde sich von allein herausstellen, woran sie litt, und bis dahin bräuchte sie nur Ruhe. Ich war überzeugt, dass sie etwas vor mir verbarg, und dies diente nicht gerade dazu, meine Sorge zu schmälern.
    Jana öffnete die Augen und lächelte mich an.
    »Wie geht es dir?«, fragte ich.
    »Jeden Tag besser. Ich habe sogar Hunger. Wie ein Bär, wenn du es genau wissen willst.«
    »Clara Manfridus hält den Arzt für inkompetent.«
    Jana lachte. »Ich verzeihe dir, dass du ihn auf mich losgelassen hast. Aber Clara hat Recht.«
    »Hat er dich überhaupt untersucht?«
    »Er wollte warten, bis mein Ehegatte oder wenigstens ein männlicher Verwandter im Raum wären. Als Clara ihm erklärte, dass du mit ihrem Mann geschäftlich unterwegs seist und deine Rückkehr lange dauern könnte, erklärte er sich schließlich bereit, mir den Puls zu fühlen.« Sie riss einen Wollfaden ab, der von ihrem Handgelenk herabhing. »Er band mir diesen Faden um und versuchte, meinen Herzschlag darüber zu spüren. Er war peinlichst bemüht, mich nicht zu berühren.«
    »Glaubt er, du hast etwas Ansteckendes?«
    »Aber nein. Clara hat mir erläutert, dass man es hier mit der Schicklichkeit sehr genau nimmt. Es hat schon mehr als ein Arzt seine Zeit im Gefängnis verbracht, weil man ihn beschuldigte, sich einer Patientin zu sehr genähert zu haben.«
    »Indem er

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