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Die schwarzen Wasser von San Marco

Die schwarzen Wasser von San Marco

Titel: Die schwarzen Wasser von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Körper nicht anders hing als an der Kleiderstange des Söldnerhauptmanns, dem er vor hundert Jahren gehört haben mochte. Calendar sah ihnen mit finsterer Miene entgegen.
    »Ich glaube nicht, dass es hier für mich noch viel zu tun gibt«, meinte ich zu Manfridus. »Ich möchte zur Herberge zurückkehren.«
    »Finden Sie den Weg allein?«
    »Also, Herr Manfridus, bei allem Respekt! Sie haben mich hierher geschleppt, da bringen Sie mich bitte auch wieder zurück. Ich finde in diesem Labyrinth keine hundert Schritte weit, ohne mich zu verlaufen.«
    »Ich muss Ihnen einmal erklären, wie man sich hier zurechtfindet«, erklärte er seufzend. »Wenn man’s weiß, ist nichts dabei.«
    »Sollte ich lange genug hier sein, dass es sich lohnt, sage ich Bescheid.«
    Er lächelte und wandte sich von der Befragung der beiden kleinen Zeugen ab, deutlich enttäuscht, seine Neugier nicht befriedigen zu können. Wir drängelten uns durch die Menge hinaus, und die von uns hinterlassene Lücke schloss sich sofort. Ich drehte mich ein letztes Mal um und sah, dass Calendar uns nachblickte, während der Junge mit dem Lederpanzer seine Geschichte hervorsprudelte. Der Polizist sah aus, als sei er an unserem Abgang wesentlich mehr interessiert als an der Aussage des Gassenjungen.
    Erst jetzt fielen mir auf dem Rückweg zwischen all den Patriziern in ihren teuren Gewändern, zwischen den Seeleuten, Bewaffneten und Dienstboten, den Mönchen und Priestern sowie den wenigen Frauen – fast ausnahmslos in der Kleidung von Bediensteten – die Gassenjungen auf. Sie waren überall, wo sich ein größerer campo auftat, zumeist zu zweit oder zu dritt, zerlumpte, zierliche Gestalten, die sich an den Hauswänden herumdrückten wie ihre eigenen Schatten und allen Blicken auswichen. Sie erinnerten mich an die Ratten, die man in unbelebten Gassen in der Abenddämmerung sieht: scheu und zugleich jederzeit bereit zuzufassen, wenn sie Beute wittern. Die meisten Sklaven, die von den reichen Patriziern für teures Geld direkt von den Galeeren weg gekauft wurden, führten ein behüteteres Dasein als sie, deren Eltern vermutlich bereits ein ähnliches Leben geführt hatten.
    Schweigsam stapfte ich an Manfridus’ Seite dahin und spürte noch immer das knochige Gelenk des Gassenjungen in meiner Hand. Als hätte ich versucht, einen kleinen Vogel festzuhalten.

3
    In der Trinkstube der Herberge saß der Arzt, den ich über Michael Manfridus herbeordert hatte, vor einem Becher Wein. Er war ein korpulentes Männchen mit einem zerknautschten Gesicht und einer knolligen Nase, ganz in Schwarz gekleidet und sich seiner Bedeutung absolut sicher. Als er uns hereinkommen sah, blickte er auf, als hätten wir ihn in einer tiefsinnigen Betrachtung gestört. Dann erinnerte er sich offenbar daran, dass ich es gewesen war, von dem er das Geld für seinen Besuch erhalten hatte, und begann auf mich einzureden. Manfridus machte ein peinlich berührtes Gesicht und schien nichts mehr zu fürchten, als mir womöglich die Diagnose eines Frauenleidens übersetzen zu müssen. Er eilte um Hilfe in die Küche der Herberge, wo seine Frau lautstark rumorte.
    Clara Manfridus übertrug mir die Worte des Arztes mit säuerlicher Miene: »Er sagt, Ihre Gefährtin leidet an den Nachwirkungen der Reise. Anders als bei einem Mann sind die inneren Organe der Frau nicht fest an ihrem Platz, deshalb können sie bei harten Stößen durcheinander geraten und Unwohlsein verursachen. Er meint, Frauen sollten aus diesem Grund nicht reisen, sondern zu Hause bleiben. Er sagt, wenn Ihre Gefährtin ein paar Tage ruhig liegt, dann gleiten die Organe von allein wieder an ihren richtigen Platz, und alles ist in Ordnung.«
    Der Arzt schob die Lippen vor und nickte gönnerhaft, als sei ihm eine Diagnose aus seinem eigenen Mund in jeder Sprache verständlich und zeuge außerdem von tiefer Einsicht in die Anatomie des Menschen.
    »Er empfiehlt einen Aderlass. Er hat damit nur auf Sie gewartet, weil es nicht schicklich wäre, den Aderlass in Abwesenheit des Ehemannes auszuführen. Ich habe darauf verzichtet, ihm Ihre besonderen Familienverhältnisse zu erläutern.«
    »Einen Aderlass? Nach einem Schwächeanfall?«
    »Der Kerl würde selbst einen Bluter zur Ader lassen, wenn ihm nichts anderes einfällt. Sie haben Ihr Geld zum Fenster hinausgeworfen.«
    »Ihr Mann hat mir den Arzt empfohlen.«
    »Ihn trifft keine Schuld. Er hätte Ihnen jeden beliebigen Arzt empfehlen können. Jeder hätte eine andere fantastische

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