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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie. In dem großen Spiegel, der fast die ganze Wand des Badezimmers einnahm, sah ihr ein schmales, müdes, bleiches Gesicht entgegen. Es erinnerte sie daran, warum sie in Venedig war und durch welchen rätselhaften Anlaß sie zu einer Prinzessin im Himmelbett geworden war.
    Sie zog sich hastig an und stand dann ebenso verlassen wie auf dem Bahnhof in dem weiten Prunkzimmer. Die alte Frage tauchte wieder auf und überdeckte allen Zauber der venezianischen Nacht. Wie sollte es weitergehen? Wo war Dr. Berwaldt?
    Eine Frage, auf die es für Ilse Wagner im Augenblick keine Antwort gab, nicht einmal eine Ahnung, wie es sein könnte. Vielleicht klärte sich am nächsten Morgen alles auf, und man würde herzlich lachen können über all die Sorgen, die auf einen eingestürmt waren und die zerplatzten wie eine Seifenblase.
    Ilse Wagner zwang sich, daran zu glauben, daß sich morgen alle Irrtümer erklären ließen. Mit dieser Beruhigung kam ein bohrendes Gefühl in ihren Magen zurück.
    Mein Gott, dachte sie. Ich habe Hunger. Ich habe seit fast 10 Stunden nichts mehr gegessen. Ich habe einen Hunger, daß ich dem ersten Kellner die Platte aus den Händen reißen könnte …
    Sie lief wieder ins Badezimmer und kämmte sich. Dadurch überhörte sie das Klopfen an der Tür. Erst, als es stärker klopfte, kam sie verwundert ins Zimmer zurück und rief: »Ja, bitte –«
    Ein Boy trat ein und verbeugte sich tief.
    Über dem Arm trug er ein Abendkleid. Ein Zimmermädchen folgte ihm und knickste. Ihr rundes, von schwarzen Locken umkräuseltes Puppengesichtchen leuchtete.
    »Bon soir, Mademoiselle …«, sagte sie. »Isch soll behilflich sein –«
    Sie nahm das Kleid vom Arm des Boys und trug es wie einen wertvollen Schatz auf das Bett. Ein weißes Duchessekleid mit goldenen Stickereien.
    »Das ist ein Irrtum.« Ilse Wagner sah mit großen Kinderaugen auf das Abendkleid. »Es gehört mir nicht. Sie müssen sich in der Zimmernummer geirrt haben.«
    »O non, Mademoiselle.« Das Zimmermädchen schob den Boy aus dem Zimmer und schloß die Tür. »Isch bin Françoise. Aus Cannes, Mademoiselle. Monsieur Cramer hat misch beauftragt, alles für Sie zu tun …«
    »Aber das Kleid –«
    »Ist bestellt für Mademoiselle.«
    »Von wem!«
    »Monsieur Cramer –« Franchise lächelte Ilse sonnig an. »Er erwartet Sie in halber Stunde unten in der Bar … Wir müssen uns beeilen, Mademoiselle –«
    In seinem Zimmer im 2. Stockwerk des ›Excelsior‹ stand Cramer dem 2. Geschäftsführer des Hotels gegenüber. Der kleine, schlanke, schwarzlockige Italiener trug einen Cut und Lackschuhe, er sah feierlich aus und stand leicht nach vorne geneigt da, als wolle er jeden Augenblick einen neuen Diener machen.
    »Signore bestanden darauf, daß ich selbst komme? Eine besondere Beschwerde? Es täte uns leid, wenn Signore –«
    »Ich suche einen Mann!« sagte Cramer langsam.
    »Wie bitte?« Die flinken Augen des Geschäftsführers erstarrten. Dann musterten sie Cramer. Nein, betrunken ist er nicht, dachte er. Wir haben Signore Cramer noch nie betrunken gesehen, und immerhin kommt er seit 11 Jahren jedes Jahr mindestens einmal in das ›Excelsior‹. Ein treuer, stiller Gast, ohne absurde Wünsche wie die meisten unserer Gäste. Noch nie hat er in den 11 Jahren eine Beschwerde gehabt. O Madonna, was hat er bloß heute?
    »Einen Mann vermisse ich –«
    »Das ist sehr interessant, Signore.« Der Italiener klapperte mit den Lidern. »Was soll ich dabei tun?«
    »Der Mann heißt Berwaldt und kommt aus Berlin-Dahlem.«
    »Dottore Berwaldt?« Der Geschäftsführer atmete hörbar auf. »Er wohnt doch bei uns!«
    »Das habe ich geahnt!« Cramer trat auf den kleinen Italiener zu und zog ihm, ohne zu fragen, das dicke Gästebuch, das er unter den Arm geklemmt hatte, weg.
    »Signore – das ist ein Hotelgeheimnis!« rief der Geschäftsführer. Er wollte das Buch aus Cramers Händen reißen, aber Cramer trat ein paar Schritte zurück und wich ihm aus.
    »Wenn ein Mann plötzlich verschwindet, ist das nicht mehr ein Hotelgeheimnis!«
    »Bei uns verschwindet kein Mann!« rief der Italiener beleidigt. »Signore Dottore ist verreist, für ein paar Tage. Er hat die Miete im voraus bezahlt und will wiederkommen. Solange reservieren wir sein Appartement! Was ist da merkwürdig?«
    »Alles, mein Lieber. Ich erkläre es Ihnen gleich.« Cramer blätterte in dem Gästebuch weit zurück. Endlich fand er die Eintragung. »Hier steht es: Dr. P. Berwaldt. Berlin-Dahlem. Zimmer

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