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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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seine Sekretärin nicht – wie versprochen – am Bahnhof abgeholt? Wo war er jetzt? Für die Hotelleitung war er verreist … man hätte ihn bemerkt, wenn er das Hotel betreten hätte! Und wenn der Schlafanzug schon drei oder mehr Tage so gefaltet auf dem Bett lag, so waren doch die Zigarettenreste neu und der gefüllte Papierkorb.
    Cramer hob den Papierkorb auf den Schreibtisch und leerte ihn aus. Blatt für Blatt sah er durch, Kuvert nach Kuvert … es waren Notizen, meistens lange Zahlenreihen, von denen er nichts verstand, Formelgleichungen, chemische Berichte … warum man sie zerknüllt und weggeworfen hatte, konnte er sich nicht erklären. Vielleicht waren es falsche Berechnungen. Auch die Kuverts waren alte Umschläge, meistens an die Berliner Adresse adressiert.
    Kurz vor dem Ende des Papierberges hob Cramer ein Kuvert hoch, das vorne eine italienische Briefmarke trug. Als er es umdrehte, stutzte er, fuhr aus dem Sessel hoch und beugte sich zu der Schreibtischlampe vor, um besser lesen zu können.
    »Sieh an!« sagte er leise. Das Kuvert in seiner Hand begann zu zittern. Er setzte sich wieder und starrte auf den Absender. »Was hat das zu bedeuten –«
    Der Absender auf dem Umschlag lautete: Sergio Cravelli. Canale Santa Anna. Palazzo Barbarino. Venezia.
    Cravelli, dachte Cramer und schloß die Augen. Was hat Cravelli mit Dr. Berwaldt zu tun? Wie kommt es zu dieser absurden Verbindung?
    Er stopfte die Papiere zurück in den Korb, zögerte, warf dann auch das Kuvert dazu und verließ mit größter Vorsicht die Zimmer 8-10. Bevor er auf den Gang trat, wartete er im Dunkeln, beobachtete durch einen Spalt der geöffneten Tür den Gang und schlüpfte dann hinaus.
    So wie ich hat vor mir auch jemand diese Zimmer verlassen, dachte er. War es Sergio Cravelli? Und warum?
    Er fuhr mit dem Lift hinunter in die Halle, rannte durch den Palmengarten und rief schon von weitem nach einer Gondel.
    An dem verwirrten Portier vorbei wirbelte er durch die Drehtür und sprang in den ersten Kahn, der vor ihm auf dem Canale Grande schaukelte.
    Im Palazzo Barbarino am Canale Santa Anna gingen hinter den verhangenen breiten Fenstern die letzten Lichter aus. Die Dienerschaft tauchte in dem Gewirr der Flure und Gänge irgendwo in der Tiefe des Palastes unter, wo vermutlich die Schlafräume des Personals lagen.
    Sergio Cravelli wartete in der Halle. Der Butler war der letzte, der sich verabschiedete. Seine Schritte hallten eine Zeitlang wider, bis sie in der Ferne des Labyrinths verklangen.
    Trotzdem wartete Cravelli noch ein paar Minuten, bis er zurück in seine Bibliothek ging. Der große Raum wurde von zwei Stehlampen, deren seidene Schirme das Licht gedämpft ausstrahlten, nur schwach erleuchtet.
    Vor dem Schreibtisch, neben dem alten Globus, saß in einem geschnitzten Sessel Dr. Berwaldt.
    Aber er saß nicht wie ein Gast dort. Seine Beine und Arme waren fest an den Körper gefesselt; ein Knebel hinderte ihn, zu sprechen. Mit großen Augen starrte er Cravelli an, als dieser in die Bibliothek trat, hinter sich abschloß und um den Schreibtisch herum zu seinem Sessel ging. Im Vorbeigehen riß er den Knebel aus Berwaldts Mund und lächelte ihm nickend zu.
    »Die Dienerschaft schläft. Wir brauchen nicht mehr stumm zu sein. Wenn Sie das Bedürfnis haben, zu schreien … bitte! Es hört Sie niemand. Aber es befreit von dem inneren Druck –«
    Dr. Berwaldt schwieg. Er sah, wie Cravelli einen kleinen Medizinkasten aufklappte, eine Injektionsspritze herausnahm, eine Ampulle, die Nadel fachmännisch auf die Spritze setzte und alles auf eine Lage steriler Watte legte.
    »Was soll das?« fragte Dr. Berwaldt heiser.
    Cravelli beugte sich etwas vor. »Es ist eine bedauerliche Tatsache, Signore Dottore, daß wir nicht mehr miteinander reden können –«
    »Das hätten Sie vorher wissen müssen!«
    »Wer denkt daran, daß ein Mensch, dem man 25 Millionen Dollar bietet, so verrückt ist, Ideale zu haben? Ethik ist ein Zauberwort für Arme, die an ihm herumlutschen und davon satt werden … von einer bestimmten Summe Geld ab wird es das dümmste Wort im menschlichen Sprachschatz.«
    Mit einer kleinen Stahlfeile sägte Cravelli die Spitze der Ampulle ab und zog die wasserhelle Flüssigkeit in den Glaskolben der Spritze. Dann drückte er die Luft aus der Nadel und legte die injektionsbereite Spritze wieder auf die Watte zurück.
    »Sie hätten sich alle Unannehmlichkeiten ersparen können, Dottore! Ich habe Ihnen Vorschläge gemacht, wie sie

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