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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Kopf. Das alles paßt nicht zu meinen Vermutungen, dachte er. Es muß ein falscher Weg sein, den ich einschlagen wollte. Alles ist so natürlich, so offen, so einleuchtend bei diesem Dr. Berwaldt! Und plötzlich ist es anders, und er vergißt seine bestellte Sekretärin!
    »Ist … ist etwas mit Dr. Berwaldt?« fragte Ilse Wagner wieder. Ihre Stimme zitterte deutlich.
    »Nein, nein, gar nichts …« Cramer steckte sich nervös eine Zigarette an. »Ich dachte nur, durch diese Fragen Anhaltspunkte für das unlogische Verhalten Ihres Chefs zu finden. Es war ein Holzweg, ich erkenne es jetzt. Schade. Wir sind der Rätsellösung weiter als zuvor entfernt. Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Wir sehen uns gleich in der Halle, nicht wahr? Auf Wiedersehen bis gleich –«
    Er legte auf und wanderte unruhig im Zimmer hin und her.
    Als ich sie auf dem Bahnsteig ansprach, hätte es ein Abenteuer werden können, dachte er. Wer konnte wissen, daß es plötzlich so tiefernst und vielleicht sogar tragisch werden konnte? Schon einmal war Venedig zu seinem Schicksal geworden … vor zehn Jahren … und niemand, außer einem in der Märchenstadt, wußte, warum er jedes Jahr nach Venedig kam und durch die schweigenden Kanäle fuhr, weitab des Touristentrubels auf den bunten Postkartenstraßen der Lagunenstadt. Er sprach mit niemanden darüber … nur die Erinnerung wurde immer so stark, als seien keine Jahre verstrichen, sondern alles geschehe heute, wenn er mit einer gemieteten Gondel vor einem alten Palazzo hielt und die reich verzierte Fassade hinaufschaute.
    Sollte Venedig zum zweitenmal zu seinem Schicksal werden? Und wiederum mit einem Mädchen?
    Rudolf Cramer blieb stehen und starrte auf den dunklen Kanal vor seinem Fenster. Zimmer 8-10 bewohnte Dr. Berwaldt, dachte er. In seinem Appartement könnte man einen Weg finden. Es war nicht anzunehmen, daß Berwaldt alles auf seiner merkwürdigen Reise mitgenommen hatte. Wenn dies doch der Fall war, schien alles klar zu sein.
    Nach einem kurzen Zögern fuhr Cramer mit dem Lift hinunter zum ersten Stockwerk, der bel etage, in der die teuersten Zimmer und Appartements lagen, die Fürstenräume und die großen Marmorbäder. Die Flure waren mit dicken, roten, handgeknüpften Teppichen bedeckt, die jeden Schritt wie Watte aufsaugten. Die Lautlosigkeit auf dieser Etage war vollkommen.
    Vor Zimmer 8-10 blieb Cramer stehen und sah sich um. Dann klopfte er vorsichtshalber, obwohl er wußte, daß niemand in den Zimmern war. Nach einem kurzen Blick nach beiden Seiten des leeren Ganges drückte er die Klinke herunter und wunderte sich nicht, daß sie nachgab. Auch die zweite Innentür war unverschlossen. Schnell schlüpfte Cramer in das dunkle Appartement, schloß hinter sich die Türen und drehte dann das Licht an.
    Der unvorstellbare Luxus der Einrichtung, der der eines Renaissancefürsten sein konnte, interessierte ihn nicht. Was er wahrnahm, war der leichte Geruch von kaltem Tabakqualm, Juchtenparfüm und einer Art Karbol. Die dicken Samtportieren waren vor die hohen Fenstertüren zum Balkon gezogen. Das Bett war aufgedeckt, der Schlafanzug Dr. Berwaldts in neckischer Art auf die Bettdecke drapiert … es war alles so, als müsse jeden Augenblick der Arzt ins Zimmer kommen und sich zum Schlafen umziehen.
    Mit schnellen Griffen öffnete Cramer die Schranktüren. Die Anzüge hingen korrekt auf den Bügeln, die Leibwäsche war sauber gestapelt in den Fächern, Schuhe, Strümpfe, Taschentücher und Hemden, sogar das Rasierzeug war im angrenzenden Bad. Es deutete nichts darauf hin, daß der Bewohner dieses Luxusappartements verreist war.
    Im Aschenbecher des Salons lagen einige halb gerauchte amerikanische Zigaretten, ein noch nicht ausgepackter, mit Lederriemen besonders verschnürter Koffer stand zwischen Schreibtisch und Wand, der Papierkorb neben dem Tisch war mit Kuverts und zerknüllten Schriftstücken halb gefüllt.
    Auch das ist rätselhaft, fand Cramer und setzte sich in den Schreibtischsessel. Jeden Tag werden die Zimmer zweimal von den Zimmermädchen gesäubert, die Aschenbecher und Papierkörbe geleert … schon der gefaltete Schlafanzug auf dem aufgeschlagenen Bett bewies, daß vor Beginn der Nachtschicht im Hotel das Zimmer betreten worden war … Und trotzdem lagen jetzt Zigarettenreste in den Aschenbechern und war der Papierkorb halb voll.
    Es mußte jemand nach dem Zimmermädchen in dem Appartement gewesen sein! War es Dr. Berwaldt selbst? Und wenn er es war, warum hatte er

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