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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gesicht wechselte wieder vom Jungenhaften zum ernsten, männlich-harten Antlitz. »Ja, das wollte ich noch sagen. Fassen Sie es bitte nicht als unverschämt auf, sondern als echtes Hilfeangebot: Bis Sie Ihren Chef wiederhaben, seien Sie mein Gast –«
    Ilse zögerte einen Augenblick. Ihre augenblickliche Lage war verzweifelt. Außerdem empfand sie Angst vor all den Unerklärlichkeiten, denen sie jetzt gegenüberstand. In dieser Lage war es ein Trost, eine Hilfe wie Rudolf Cramer neben sich zu haben. Ein Mann, zu dem sie Vertrauen hatte, ohne sagen zu können, wie sie zu diesem Vertrauen kam. Er hat blaue Augen, dachte sie plötzlich. Schwarze Haare und blaue Augen … welch ein Kontrast. Waren es diese Augen … oder sein Lächeln … oder sein ganzes Wesen, das eine Paarung von Frechheit und Logik war, von Burschikosität und Galanterie …?
    »Nur, wenn ich Ihnen später alles zurückzahlen kann –« sagte sie leise.
    »Einverstanden! Also auf ins ›Excelsior‹!«
    Sie schlossen die dünne Kollegmappe mit den Formeln in ein Schließfach. Cramer gab Ilse den Sicherheitsschlüssel mit der eingravierten Nummer.
    »Nummer 178! Behalten Sie sie, wenn Sie den Schlüssel verlieren sollten …«
    »Ich werde ihn mir um den Hals hängen …«
    »Ein beneidenswerter Schlüssel –«
    Mit großen Schritten eilte er aus der Bahnhofshalle, die hellen Koffer in den Händen bei jedem Schritt hin und her schwingend. Ilse rannte ihm nach, sich immer wieder umsehend, ob nicht doch noch Dr. Berwaldt kam. Aber der Bahnsteig lag verlassen da, menschenleer, eine Öde, die bedrückend war.
    Rudolf Cramer ging einem kleinen Seitenkanal, dem Rio della Croa, zu. Mit lauter Stimme rief er in die Nacht hinein: »Gondola! Gondola!« Es war mehr ein Singen, volltönend, kraftvoll, schön. Ilse Wagner hielt den Atem an. Aus dem Dunkel des Kanals, fast lautlos, glitt eine Gondel an den Kai. Das schwarze Wasser teilte sich vor dem geschnitzten Kiel und umspielte in zierlichen Wellen das schlanke Boot. Der Gondoliere nickte zu ihnen hin und bremste mit dem langen Ruder.
    Cramer warf die Koffer zuerst ins Boot, dann sprang er nach, half Ilse in die Gondel, rückte auf dem Sitz ein Polster in ihren Rücken und warf dem Gondoliere geschickt eine Münze zu. Es war ein Dollar, und der Gondoliere lachte breit.
    »Excelsior –«, sagte Cramer.
    »Si, Signore … Sofort … oder mit Umweg …«
    »Sofort!«
    Der Gondoliere nickte. Leise glitt die Gondel den schmalen Kanal hinunter und bog in den Nannaregio ein, der bei San Geremia in den Canale Grande mündet.
    Der Zauber, die unwirkliche Schönheit einer venezianischen Nacht lag vor Ilse Wagner.
    Leise gluckerte das Wasser gegen die Bordwand. Die mächtigen Mauern der alten Paläste raunten von fernen Jahrhunderten. Von Abenteuern und Schicksalen, von Liebe und Tod, von Größe und Vergessen …
    Es war ein Märchen, das Ilse Wagner still bestaunte, zurückgelehnt in die Polster, umrauscht von den schwarzen Wellen der Kanäle.
    Plötzlich, unsagbar woher sie es empfand, hatte sie das Gefühl, glücklich zu sein.
    Es war ihr, als glitten die Sorgen von ihr je näher sie dem steinernen Märchen des Dogenpalastes kamen und der Piazetta mit der schlanken Säule und dem geflügelten Löwen –
    *
    Was war aber in den vergangenen Wochen in Venedig geschehen? Es begann in Berlin. Dr. Peter Berwaldt fuhr sich mit beiden Händen über die müden Augen und schob das Mikroskop von sich weg. Ilse Wagner saß neben ihm, das Berichtsbuch auf den Knien, vor sich eine große Tasse dampfenden, starken Kaffee. Es war drei Uhr morgens … in dem großen Laboratorium brannte nur eine Lampe über dem Arbeitstisch.
    »Nummer?« fragte Dr. Berwaldt müde.
    »Versuch 794 –«
    »Negativ –«
    »Schade – Gerade der …«
    »Ein Mist ist's, Wagnerchen … Los, packen Sie alles ein, gehen Sie ins Bett! Morgen fangen wir eine neue Reihe an …«
    Dr. Berwaldt rückte das Mikroskop wieder zu sich heran und sah noch einmal durch das Okular, ehe er den Objektträger aus der Halterung schob. Mit einem Ruck umklammerte er die Tischkante, drehte an der Scharfeinstellung, hob den Kopf, starrte Ilse Wagner an und beugte sich wieder über das Mikroskop.
    »Wagnerchen …«, stammelte er. »Das … das … Himmeldonnerwetter … Von wem ist das Präparat?«
    »Von Leopold. Affe Nr. 17.«
    »Die carcinomatöse Zelle zerfällt! Sie zerfällt! Bei Gott … sie bricht auseinander … Das müssen Sie sehen … kommen Sie her! Sehen Sie

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