Die schweigenden Kanäle
und 23 leer !«
Am nächsten Tag fuhr Dr. Peter Berwaldt nach Venedig. Ilse Wagner und der Cheflaborant begleiteten ihn zum Zug. Von Frankfurt aus wollte Dr. Berwaldt dann weiter nach Venedig fliegen.
»Gute Reise!« rief Ilse, als sich der Interzonenzug schnaufend in Bewegung setzte.
»Und viel Erfolg!« schrie der Cheflaborant. »Ich drücke beide Daumen, daß wir bald Millionäre sind –«
Dr. Berwaldt winkte mit beiden Armen zurück. Dann saß er, nach der ersten Kontrolle durch die Vopos, am Fenster und blickte still über das vorbeirasende mitteldeutsche Land.
Venedig, dachte er. Wird Venedig die große Wende meines Lebens sein? Werde ich endlich alle geldlichen und räumlichen Möglichkeiten erhalten, mit einem Präparat, mit meinem Präparat die Menschheit von der Geißel Krebs zu befreien?!
Dr. Berwaldt lehnte sich zurück, drückte den Kopf an das Nackenpolster und schlief im gleichförmigen Rattern des Zuges ein. Er wurde erst wieder geweckt, als man am Zonenübergang die Pässe kontrollierte und zwei Vopos ihn an der Schulter rüttelten.
Sergio Cravelli stand auf dem Rollfeld, als die Maschine ausrollte und das Fallreep herangeschoben wurde. Er schwenkte einen riesigen Blumenstrauß und stürzte auf Dr. Berwaldt zu. Er kannte den deutschen Arzt nicht … aber mit dem geübten Blick eines Agenten erkannte er ihn sofort, als Berwaldt auf der Treppe erschien und sich suchend umblickte.
»Signore Dottore!« brüllte Cravelli und riß Berwaldt fast von der Treppe. »Willkommen in Italia und dem schönen Venezia! Hatten Sie eine gute Fahrt, einen ruhigen Flug, eine liebe Betreuung, haben Sie Wünsche, Beschwerden, fehlt Ihnen etwas –«
Dr. Berwaldt schüttelte lächelnd den Kopf. Der Wortwasserfall versiegte. Cravelli und Berwaldt sahen sich groß an. Eine schnelle, gründliche Musterung, die entschied, wie die kommenden Tage verlaufen würden.
Sergio Cravelli war ein großer, hagerer Mann Ende der Fünfzig mit einer weit ausladenden Adlernase und einem zerknitterten, pergamentähnlichen Gesicht. Die kurzgeschnittenen, ergrauten Haare gaben dem Kopf das Aussehen eines gerupften Vogels. Vor allem die Augen, die tief in dunklen, bräunlich-gelben Höhlen lagen, stießen etwas ab und verursachten wenig Sympathie. Auch die weißen Augäpfel waren gelblich, mit roten Äderchen durchzogen.
Er ist herz- und leberkrank, dachte Dr. Berwaldt. Und sicherlich lebt er nicht Diät, was er tun müßte. Man könnte Vertrauen zu ihm haben, wenn man seine Augen nicht sieht. Es ist, als sei er immer auf der Lauer. Aber vielleicht ist das der Blick aller Manager … Berwaldt wußte es nicht.
Sergio Cravelli hatte seine Musterung ebenfalls abgeschlossen. Ein netter, lieber Mensch, dachte er. Offen und ehrlich, mit dem treuen deutschen Blick, der uns ewig ein Rätsel bleiben wird, weil er so fern aller Wirklichkeitserkenntnis ist. Ein typischer Forscher, voller Ideale und Weltverbesserungsideen. Man wird ihn mühelos auf die geplante Seite ziehen können.
»Sie werden erstaunt sein, was wir alles für Sie vorbereitet haben!« sagte Cravelli enthusiastisch.
»Ich lasse mich überraschen.« Dr. Berwaldt nahm die Blumen und klemmte sie unter den Arm. »Ihr verheißungsvoller Brief –«
»Madonna mia! Das war nur ein Bruchteil dessen, was Sie hier erwartet! Sie ziehen ein als Unbekannter … und Sie werden nach Berlin zurückkehren als ein kleiner Kaiser!«
Dr. Berwaldt ging auf diese Lobreden nicht ein. Ein Manager ist schon eine Superlative von Mensch, aber ein italienischer Manager sucht noch nach einer Bezeichnung. Es gibt kein Wort dafür.
Sie gingen über das Rollfeld wie alte Freunde, passierten die Zollkontrolle, die Cravelli elegant mit einem unheimlichen Wortschwall umschiffte, und standen vor dem Fluggebäude einem riesigen amerikanischen Wagen gegenüber. Ein langer, überdürrer Herr in einem weißen Leinenanzug sprang heraus und steckte seine brennende Pfeife in die obere Jackentasche. Er hatte einen typischen amerikanischen Haarschnitt und grinste breit, als Cravelli auf ihn zusteuerte und Dr. Berwaldt vor sich herschob.
»Das ist Mr. Patrickson!« rief Cravelli. »Unser amerikanischer Repräsentant! Sie sehen, wir haben alles Ihretwegen zusammengetrommelt.«
»How?« sagte Patrickson und streckte Berwaldt die Hand entgegen. Eine dürre, knochige, kalte Hand, wie eine Mumie. »Nennen Sie mich James … das spricht sich leichter, Sir …«
Dr. Berwaldt hatte das Gefühl, eine Totenhand zu drücken,
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