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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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Jahrhundert verwendet hat:
Der Totentanz.
Ich habe Freunde gehabt, im Mittelalter, die mich gelehrt haben, wie man zu schreiben hat. Sie konnten das ziemlich gut. Aber ich verbrenne stärker beim Schreiben als sie.
    *
    Die Erzählerin des Romans hätte einen Partner, der hier in Philadelphia gelebt hatte. Sie würde obsessiv über das imaginäreLeben dieses Partners schreiben, bis sie darüber verrückt wird und auch ihn verrückt macht.
    *
    Ich glaube Mitohnegesicht ist nicht mehr im Haus.
    Warum sagst du das?
    Weil ich glaube, wenn er da wäre, würde er uns helfen, hier rauszukommen.
    *
    Ich bin ein Mann ohne Gesicht. Meine Gesten sind für die anderen eine Grimasse des Todes. Aber ich sehe mich schon nicht mehr. Ich weiß aber, dass ich ein Paar teuflische Brüste habe und eine braune, glatte und unbehaarte Haut.
    *
    Wohin mag Mitohnegesicht gegangen sein?
    Ich weiß nicht. Vielleicht sitzt er auf dem Haus. Oder vielleicht ist er mit Papa nach Philadelphia gefahren.
    Papa ist nicht in Philadelphia, mein Schatz.
    Pa-pa.
    *
    Ich kann mit dem höchsten Grad an Sicherheit, die einem Mann in meinen Umständen gegeben ist, melden, dass ich jetzt tatsächlich absolut blind bin. Dank der Tatsache, dass dieser ganze Prozess durch die gewährte Gradualität versüßt worden ist, würde, so dachte ich, die endgültige Leere mehroder weniger leicht zu ertragen sein – ja sogar eine Erholung von dem konfusen Helldunkel der letzten Monate bedeuten. Doch die Blindheit ist nicht das, was ich erwartet hatte. Heute Morgen bin ich in leuchtender Finsternis aufgewacht, und die Katzen waren nicht in meinem Schlafzimmer.
    Ich ging zum Bad, dachte, dass ich vielleicht spät dran war und sie hungrig in der Küche auf mich warteten. Als ich im Bad war, knipste ich das Licht an. Schon seit Langem macht das elektrische Licht keinen großen Unterschied, taugt vielmehr, wie dieser verseuchte deutsche Philosoph schrieb, um meine fast vollkommene Ignoranz über die Welt zu erleuchten. Bei dieser Gelegenheit jedoch geschah das genaue Gegenteil – oder, noch beunruhigender, das Gegenteil des Gegenteils. Ich schaltete das Licht an und sah mein ganzes Bad, am Boden ein Teppich aus Katzenkacke, auf dem halb leere Flaschen mit Hygieneprodukten herumlagen, halb verbrauchte Klopapierrollen türmten sich neben dem Klosett zu einer Pyramide, eine Whiskyflasche ruhte im Waschbecken, und zu der Luke, die den winzigen Raum mit Badewanne belüftet, wuchs eine Kletterpflanze hinein. Ein gutes Dutzend Fliegen oder Mücken summten in der stickigen Luft.
    Ich blickte zum Spiegel, um mich selbst in diesem Albtraumszenario zu orten. Aber ich war nicht da. Anstelle meines Gesichts sah ich das dieser verkommenen Mulattin, das Gesicht von Nella Larsen. Meine Theorie war also richtig. Ich schaltete das Licht aus und vollzog mein bescheidenes morgendliches Hygieneritual blind und ohne mich.
    Die schwanzlosen Katzen waren in der Küche. Wir machten uns einen Kaffee.
    *
    Eines Tages klaut die Erzählerin einen Topf mit einem verdorrten Bäumchen aus dem Haus eines Nachbarn und beginnt einen Roman zu schreiben über das, was diese Pflanze von einer Ecke der Wohnung aus sieht. Die Pflanze sollte die Stimme der Erzählerin langsam übertönen und schließlich ganz ausschalten. Der tote Baum erzählt aus einer Ecke neben dem Eingang, von wo man die Küche, das kleine Esswohnzimmer und einen Teil des Schlafzimmers sieht. Er schaut der Frau gern dabei zu, wie sie sich in ihrem Zimmer entkleidet, bevor sie ins Bad geht: Er sieht den Hof ihres verfilzten Schambeins, wenn sie vorbeigeht und ins Bad tritt, und später, wenn sie wieder herauskommt und ins Schlafzimmer geht, studiert er den Umriss ihrer Pobacken.
    *
    Mama, sagt der Mittlere, schau dir das mal an.
    Was, mein Junge?
    Eine kleine Katze ohne Schwanz!
    *
    Ich werde mich in einem Studio fotografieren lassen, mal sehen, ob mich die anderen auf dem Foto sehen, das ich natürlich den Kindern schicken werde, sobald ihre Mutter anruft und mir eine Adresse gibt. Die Besitzerin des Fotostudios setzt mich auf ein Bänkchen, stellt es auf meine Größe ein und lässt mich zwischen einem italienischen, einem schweizerischen und einem tropischen Hintergrund wählen. Ich wähle den italienischen, obwohl ich keine Ahnung habe, auf was sich der bezieht. Sie macht einen ersten Versuch, einen zweiten. Sie kommt noch mal zu mir, um die Höhe der Bank zu justieren. Ein dritter Versuch. Sie wechselt die Leinwand im Hintergrund. Beim

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