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Die Schwerelosen

Die Schwerelosen

Titel: Die Schwerelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valeria Luiselli
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nicht hab deuten können. Winzige Dinge nehmen allen Platz ein. Ich gehe durch den Raum und setze mich aufs Sofa, den Rechner auf dem Schoß. Der Mittlere kommt ins Wohnzimmer:
    »Was machst du da, Mama?«
    »Ich schreibe.«
    »Schreibst du einfach ein Buch?«
    »Ich schreibe einfach.«
    *
    Romane haben einen langen Atem. Das wollen die Romanschreiber. Keiner weiß genau, was das bedeutet, aber alle sagen: langer Atem. Ich habe ein Baby und ein mittleres Kind.Die lassen mir keine Luft. Alles, was ich schreibe, ist – es geht gar nicht anders – kurzatmig. Wenig Luft.
    *
    Manchmal kaufte ich Wein, aber die Flasche langte nicht mal einen Abend. Etwas länger hielten sich Brot, Salat, Käse, Whisky und Kaffee, in dieser Reihenfolge. Und etwas länger als diese fünf Dinge zusammen das Ölund die Sojasauce. Aber Füller und Feuerzeuge beispielsweise, die kamen und gingen wie Halbwüchsige, die ihre Eigenwilligkeit und absolute Autonomie beweisen wollen. Ich wusste, es war nicht gut, auf die Gegenstände in einem Haus zu vertrauen; dass, sobald man sich an die stille Gegenwart eines Dings gewöhnt, dieses kaputtgeht oder verschwindet. Meine Bindung an die Menschen, die mich umgaben, war gleichermaßen von diesen beiden Erscheinungsweisen der Unbeständigkeit geprägt: Kaputtgehen oder Verschwinden.
    Das Einzige, was noch aus jener Phase herüberreicht, sind die Echos einiger Gespräche, eine Handvoll wiederkehrender Gedanken, Gedichte, die ich mochte und wieder und wieder las, bis ich sie auswendig konnte. Alles andere ist spätere Aufbereitung. Meine Erinnerungen an jenes Leben könnten auch gar nicht inhaltsreicher sein. Es sind Baugerüste, Strukturen, leere Häuser.
    *
    Ich schreibe auch ein Buch, sagt das mittlere Kind, während wir das Abendessen zubereiten und darauf warten, dass sein Vater aus dem Büro zurückkommt. Sein Vater hat kein Büro, aber er hat viele Arbeitstermine und sagt manchmal: Ich geh jetzt ins Büro. Der Mittlere sagt, sein Vater arbeite in der Arbeiterei. Das Baby sagt nichts, eines Tages aber wird sie Papa sagen.
    Mein Mann schreibt Filme, aber auch Werbung fürs Fernsehen und manchmal Gedichte. Er glaubt, bereits die Vitalität verloren zu haben, die man braucht, um gute Gedichte zu schreiben, also notiert er sie in ein kaffeebraunes Heft, das er immer in einer Schublade unter Verschluss hält.
    Wie soll dein Buch heißen?, frag ich den Mittleren.
    Es wird heißen:
Immer kommt Papa muffig aus der Arbeiterei.
    *
    In unserem Haus geht das Licht aus. Man muss sehr oft die Sicherungen wechseln. Das Wort gehört neuerdings in unser häusliches Vokabular. Geht das Licht aus, sagt der Mittlere: Die Sicherungen sind wieder entsichert.
    Ich glaube nicht, dass es in jener Wohnung, in jener anderen Stadt, Sicherungen gab. Ich habe nie den Zähler gesehen, nie ging das Licht aus, nie habe ich eine Birne gewechselt. Es waren alles Neonröhren: Sie hielten ewig. Ein chinesischer Student wohnte hinter dem Fenster gegenüber. Er lernte bis spät in der Nacht unter dem toten Licht; ich las auch bis spät. Um drei Uhr morgens machte er mit fernöstlicher Pünktlichkeit das Licht in seinem Wohnraum aus. Erknipste das Licht im Bad an und machte es nach vier Minuten wieder aus. Das Licht im Schlafzimmer schaltete er nie an. Seine intimen Rituale verrichtete er im Dunkeln. Ich stellte mir den Chinesen gern dabei vor: Zog er sich aus, bevor er zwischen die Laken schlüpfte, fasste er sich an, machte er es unter der Decke oder neben dem Bett stehend; wie sah das Auge von seinem Penis aus; dachte er an etwas Bestimmtes oder beobachtete er mich, während ich ihn mir von meiner Küche aus vorstellte? Wenn die nächtliche Zeremonie zu Ende war, knipste ich das Licht aus und verließ meine Wohnung.
    *
    Wir stellen uns gerne vor, dass uns hier im Haus ein Gespenst begleitet und beobachtet. Wir sehen es nicht, meinen aber, dass es sich ein paar Wochen nach unserem Umzug eingeschlichen hat. Ich war schrecklich dick, im achten Monat schwanger. Ich bewegte mich kaum, robbte wie eine Seelöwin über den Dielenboden. Ich packte die Bücher aus den Kisten und stapelte sie alphabetisch. Mein Mann und das mittlere Kind stellten sie in die frisch gestrichenen Regale. Das Gespenst warf die Bücherstapel um. Der Mittlere taufte es Mitohnegesicht. Das Gespenst öffnet Türen und schließt sie. Es zündet den Ofen an. Das Haus hier hat einen riesigen Ofen und viele Türen. Mein Mann sagt dem mittleren Kind, dass das Gespenst einen

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