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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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höchstwahrscheinlich Ihre Mutter eine von ihnen war.«
    Â»Meine Mutter?«
    Â»Ihre Tätowierung legt das nahe.«
    Ein Schauer lief Nadja über den Rücken. Ihre Gedanken kehrten zu der letzten Begegnung mit Catherine zurück, zu ihrer langen Umarmung, die so innig gewesen war, dass sie beide geweint hatten. Sie war auf dem Weg nach Anabah gewesen. Catherine hatte sie mehrfach beschworen, nicht fortzugehen, aber Nadja hatte einen möglichst großen Abstand zwischen sich und der Welt des Vaters schaffen wollen und einen Ort gesucht, wo sie keine Zeit für langes Nachdenken haben würde, wo es etwas gab, durch das sie permanent gefordert war. Eine Weile lang hatte das in Anabah funktioniert, aber die Illusion war in dem Augenblick zunichtegemacht worden, als Al Jazeera International die Nachricht vom Tod der Mutter gesendet hatte. Sie fühlte sich verwirrt, aber das durfte sie sich nicht erlauben, nicht jetzt, wo der Archivar sich allmählich zu öffnen begann: »Und was machen die Schwestern?«
    Â»Laut Legende sind es außergewöhnliche Frauen.«
    Â»Aber was macht sie so außergewöhnlich?«, forschte Nadja.
    Der alte Archivar lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ihr Wissen. Der Legende nach ist es eine Sekte, aber die Bezeichnung Sekte ist zu einfach. Es handelt sich eher um eine Idee, die über die Jahrhunderte hinweg überliefert wird. Die Idee, dass Frauen, die darin geschult sind, die Macht der Männer lenken.«
    Â»Aber meine Mutter war bloß eine Schauspielerin.«
    Â»Wie Theodora, die Kaiserin von Konstantinopel.«
    Â»Hat Olga Ihnen davon erzählt?«
    Wasily lächelte. »Natürlich nicht. Ich habe einmal ein Gespräch belauscht. Und nach ihrem Tod habe ich einen guten Teil meines Lebens darauf verwendet, das Geheimnis der Schwestern und ihres Mahls zu lüften, auch wenn die Spuren, die sie hinterlassen haben, recht dünn sind. Die Schwestern haben im Lauf der Geschichte stets vorsichtig agiert, waren sehr geduldig … haben alles verschleiert. Lautlos sind sie in die Seiten der Bücher eingedrungen, ein Geheimnis, das sich nur zwischen den Zeilen und nie mit Gewissheit erfassen lässt. Ihr einziges schriftliches Zeugnis ist das Buch der Blätter , aber es ist gar kein Buch, wie Sie sagen.«
    Â»Nun ja, es ist ein … Dosierstein. Aber wozu dient er?«
    Der Archivar schüttelte entschlossen den Kopf. »Ich habe nicht die geringste Idee. Als Sie das erste Mal herkamen und mir von Olgas Bühnenprospekt erzählten, schöpfte ich Hoffnung, dass jemand noch vor meinem Tod entdecken würde, wonach ich mein Leben lang vergeblich gesucht hatte. Ich hatte gehofft, die Mittel einer Derzhavin wären wirkungsvoller als die eines verliebten Alten. Aber ich habe mich getäuscht. Und nun sitzen wir miteinander hier und können nur Vermutungen anstellen.«
    Â»Welche?«
    Â»Dass der Stein dazu dient, ein Rezept zuzubereiten. Olga hat immer mit Kräutern und Tränken herumhantiert, und der Code verweist eindeutig auf die Pflanzenwelt.«
    Â»Der Stein der Weisen?«, überlegte Nadja.
    Wasily konnte das Lachen nicht unterdrücken. »Mit Blüten und Wurzeln? Das glaube ich kaum.«
    Â»Vielleicht das Elixier der ewigen Jugend?«
    Der Alte schüttelte erneut den Kopf. »Als ich mich in Olga verliebte, hatte sie ihre Jugend seit Jahren hinter sich gelassen.«
    Nadja biss sich auf die Lippe. »Dann bleibt also nur noch ein Liebestrank …«, sagte sie in beinahe scherzhaftem Ton.
    Wasily breitete die Arme aus. »Die Liebe ist irrational und schwer zu steuern. Sie unterliegt Launen und Kurzschlusshandlungen. Sie kann einen Tag anhalten oder sechzig Jahre … Wie sollte es da einen Liebestrank geben können? Das wäre so, als wollte man in einem einzigen Element Kreativität und Norm, Leichtigkeit und Schwere fassen … Nein, es muss etwas sehr viel Mächtigeres sein …«
    Nadja hatte den Worten des Archivars fasziniert gelauscht. Endlich begriff sie. Es war vollkommen gleichgültig, um welche Macht es sich handelte. Wer sich von den Verheißungen dieser Macht verleiten ließ, würde nicht davor zurückschrecken zu töten. So wie es Lena getan hatte.
    Wasily erhob sich mühsam von seinem Stuhl und reichte ihr die Hand. »Ich muss mich nun von Ihnen verabschieden. Ich habe zu tun, die unerwartete Entlassung des Direktors kam für

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