Die Seele des Ozeans (German Edition)
hierher gekommen war, bis zum Bersten gefüllt mit Lebenshunger, war das Licht ihrer Seele wie ein Leuchtturm gewesen. Hell und blendend in der Dunkelheit. Weit hatte es auf das Meer hinausgestrahlt, bis hinein in die dämmerigen Tiefen, wo er in einem schützenden Wrack geschlafen hatte.
Jetzt fühlte er sich wie die Motte, die an einer heißen Lampe verbrennt. Nacht für Nacht beobachtete er die Menschenfrau mit dem wunderschönen Namen.
Fae.
Dieser kleine, sanfte Laut. Dieses Streicheln auf der Zunge.
Stundenlang konnte er das Licht des Hauses anstarren, in dem sie saß und verzweifelte. Genauso wie er, damals in seinem Gefängnis.
Aber nicht nur ihr Name war schön. Er liebte es, Faes Gesicht im Feuerschein zu sehen. Ihre grünen Augen, ihr langes, braunes Haar und ihre Bewegungen, wenn sie am Rand des Meeres entlangtanzte. Er wollte ihre Wärme fühlen, ihre Nähe, ihr Menschsein.
Sie war verwundbar und zart. Wie ein selten schöner Sonnenuntergang, der nach wenigen Momenten verblasste und sich doch für immer in die Erinnerung einbrannte. Dieser Mensch liebte, hasste und trauerte mit einer solchen Heftigkeit, dass es ihn schier überwältigte.
Die Erinnerung daran, wie ihre Lippen geschmeckt und wie ihr Körper sich angefühlt hatte, schmerzte wie der Stich eines Steinfisches.
Kjell räkelte sich in seiner Mulde, bis er eine neue, halbwegs bequeme Lage gefunden hatte. Auf der Seite liegend, einen Arm auf dem Stein ausgestreckt, den Kopf darauf gebettet. Er fühlte sich wie ein ausgedörrter Fischkadaver, den die See an einen Strand gespuckt hatte. So ähnlich fühlte es sich an, wenn es den Geistern gelungen war, seine Kraft zu trinken, und auch hier ging es um den Tod und den Hunger nach Leben. Fae starb vor seinen Augen. Jeden Tag ein wenig mehr. Ihr Leben war verwirkt. Jeder Laut ihrer Verzweiflung, jedes Wimmern, hatte ihn ins Herz getroffen. Er wollte sie trösten. Sie berühren und küssen, ihr erzählen, dass der Tod nicht das Ende war. Für ihn hatte es Erlösung gegeben, aber sie war verloren.
Und er konnte nichts dagegen tun.
Nur noch einmal, schwor sich Kjell. Nur noch morgen. Dann folge ich dem Narwal ins Eis. Für immer.
Schatten tauchten aus dem Wasser auf. Eine Robbenfamilie, die sonst draußen auf einer Sandbank schlief, weit weg vom Land. Plump zogen sich die Tiere über die Steine. Das Weibchen schnupperte an Kjells verletzter Schulter. Ihr Fell glänzte und schimmerte wie Wasser in einer windstillen Nacht. Während die halbwüchsigen Jungen ausgelassen miteinander balgten, begann sie, die Wunde behutsam zu lecken. Blass erschienen ihm die Erinnerungen des Robbenweibchens, die es mit ihm teilte. Sie kannte nur die Küste dieses Landes. Eine langgezogene Sandbank, wogender Tang, algenbewachsene Felsen und ein paar verkrüppelte Kiefern, in deren Wipfeln sich der Nebel fing. Er sah ihre letzte Paarung, die wie eine zärtliche Umarmung anmutete, hätte ihr das Männchen in seinen Bemühungen, sich an ihrem glatten Körper festzuhalten, nicht das Gesicht zerbissen.
Er sah ihren wachsenden Bauch und die Geburt der Jungen in einem Bett aus Sand. Sie wuchsen heran. Eines endete in einem Netz, ein anderes im Magen eines Orcas. Kjell sah Generationen von Robben kommen und gehen. Das Leben dieses Tieres war wunderbar einfach. Paarung, Geburt, fressen, schlafen, sterben. Sonst nichts.
Eine Zeit lang war auch sein Leben einfach gewesen. Ein kleines Zimmer, ein Fenster, das immer mit hölzernen Läden verschlossen war. Ein paar Bücher und Zeitungsausschnitte, angefüllt mit grausamen Bildern. Endlose Tage und Nächte, in denen er fast durchgedreht wäre, weil er das nahe Meer hören und doch nicht hingelangen konnte. Langeweile. Wut. Zwischendurch betäubende Leere. Diese Bilder verblassten niemals. Kjell konzentrierte sich auf das warme Kratzen der Robbenzunge, um nicht mehr an die Frau und nicht mehr an die Vergangenheit denken zu müssen. Nach einer Weile rollte sich das Tier neben ihm zusammen und überließ den Rest der Heilung dem Meerwasser und dem Licht, das endlich aus der Tiefe heraufkam und ihn umhüllte. Der Schwarm aus Leuchtwesen, der ihn verwandelt hatte und seitdem stets in seiner Nähe war, als sei es nicht nur seine Bestimmung gewesen, ihn zu verändern, sondern auch, ihn zu beschützen. Die Energie des Schwarmes zu spüren tat gut und schmerzte zugleich, denn die Wesen waren schwach geworden.
Er hätte den Schwarm giftiger Quallen sehen müssen, genauso wie er das Schiff
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