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Die Seele des Ozeans (German Edition)

Die Seele des Ozeans (German Edition)

Titel: Die Seele des Ozeans (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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acht.“
    Zum dritten Mal kam das Tier nach genau neun Minuten an die Oberfläche, diesmal direkt vor dem Bug des Fangschiffes. Dort, wo er ihn haben wollte. Breac sprach ein gälisches Gebet – und drückte ab.
    Ein gewaltiger Knall, eine Fontäne aus Blut. Getroffen bäumte sich der Wal auf, peitschte die Wellen mit seiner riesigen Fluke, spritzte Wasserkaskaden über das Deck. Ein kurzer Schmerz, in dem das Bewusstsein unterging, dann Stille.
    Breac stieß den angehaltenen Atem aus. Sein Herz raste in einem wilden Stakkato. Wie praktisch war doch die moderne Jagd. Nichts im Vergleich zu damals, als er den Walen mit einer selbst geschnitzten Harpune und einem Seil zu Leibe gerückt war.
    Eine Weile blieb er am Bug stehen, hielt das Gesicht in den frostigen Wind und dachte mit gewisser Wehmut an jene monatelange Jagd in den Gewässern der Arktis, die ihn vor vielen Jahrhunderten fast das Leben gekostet hatte. Sie waren dorthin gefahren, wo blaue Eisberge in der Dämmerung leuchteten und nachts die gespenstisch stöhnenden Schollen das Schiff zu zerquetschen drohten. Tagein, tagaus waren sie dem Pottwal gefolgt. Tagein, tagaus hatte der Riese sie genarrt. Erst nach einer endlosen Abfolge von Sonnenaufgängen und Sonnenuntergängen war es ihnen gelungen, nah genug an den Wal heranzukommen. In kleinen, schaukelnden Holzbooten, bewaffnet mit primitiven Harpunen, Messern und Lanzen. Mehrere Männer waren in der eisigen Tiefe des Nordmeeres gestorben. Zwei Tage lang hatte der verwundete Wal ihre Nussschale durch das Meer gezogen. Zwei Tage Kampf, Angst, triefende Kleider, bleierne Erschöpfung und abgerissene Finger.
    Breac schnaufte. Verglichen mit diesen Kämpfen war das, was er heute tat, geradezu jämmerlich. Moderne Technik hatte das faire Kräftemessen ersetzt und machte aus der Jagd ein Kinderspiel.
    Unter ihm färbte sich das klare Wasser rot. Sein Opfer starb schnell, der Harpunenkopf explodierte im Körper des Wales und zerfetzte das riesige Herz. Ja, er verstand etwas von seinem Job. Er war kein Stümper wie all die anderen. Keiner, der schlecht traf und ein erbärmliches Schauspiel ablieferte. Breac spürte den Schmerz des Wales als verhallendes Echo in seinem eigenen Körper. Jedes Mal starb er mit seinem Opfer, untrennbar vereint mit allem, was im Meer lebte, und dazu verflucht, viel zu viel zu empfinden.
    Damals, als er und seine Männer den Pottwal nach zermürbender Jagd an der Steuerbordseite festgemacht und mit langen Speckmessern, Fischhaken, Piken und Speckgabeln ihre Arbeit begonnen hatten, war das Tier noch am Leben gewesen. Nie würde er die ohnmächtige Qual vergessen, die ihn durchzuckt hatte. Das erste Mal, nachdem er von dem magischen Fleisch des weißen Narwals gekostet hatte und unsterblich geworden war. Dieses Gefühl, bei lebendigem Leib zerteilt zu werden. Zu erschöpft, um sich zu bewegen. Jeder Augenblick eine Ewigkeit in der Hölle unerträglichen Schmerzes.
    Fünf Tage war er nach diesem Vorfall bewusstlos gewesen. So hatte man es ihm jedenfalls erzählt, als er mit den schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens in einer vollgekotzten Hängematte aufgewacht war.
    Im Laufe der Zeit war der Fluch schwächer geworden, aber nie ganz von ihm gewichen. Warum hatte er trotzdem nie aufgehört, seiner Arbeit nachzugehen? Weil er nie etwas anderes gekannt hatte oder weil er gut darin war? Liebte er vielleicht den Schmerz, wie man die Verzweiflung liebt, weil sie vertraut ist?
    Schmerz war ein Teil der Welt, in die er gehörte. Er war eins mit dem Meer und eins mit dem Tod, und er wollte sich selbst bestrafen. Niemals würde ein Mensch wie er Wärme schenken. Ebenso wenig wie der eisige Wind der Arktis etwas Tröstliches besaß. Sein Weg lag klar und deutlich vor ihm und war ohne jede Abzweigung.
    Ihr habt mich dazu gemacht, rief er stumm den alten Göttern zu. A lso nehmt mich, wie ich bin. Hättet ihr Alena nicht umgebracht, hättet ihr nicht zugelassen, dass diese Missgeburten sie aufschlitzen und zu Tode vergewaltigen … wer weiß, vielleicht wäre ich ein guter Mensch geworden. Ja, wer weiß. Was meint ihr?
    Die Götter antworteten nicht. Wie immer. Was war er doch für ein Narr, wieder und wieder dieselbe Frage zu stellen. Sie hatten ihm nicht einmal geantwortet, als er ihnen noch Schafe und Pferdeblut im Eichenhain geopfert hatte.
    Breac spuckte auf die Planken und zündete sich eine Zigarette an. Binnen einer halben Stunde verwandelte sich das Schiff in ein Schlachthaus. Mit Hilfe des an

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