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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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kann mich nicht ewig verstecken. Aber vor allem kann ich nicht von euch erwarten, dass ihr wegen mir …“
    „Halt!“, unterbrach ihn Alexander. „Das hier ist ein Geben und Nehmen. Du bist unser Freund, auch wenn wir unsere Differenzen hatten. Ich weiß ja nicht, wie das so im Meer läuft, aber unter Menschen bedeutet Freundschaft, dass man gemeinsam durch Dick und Dünn geht.“
    Kjell unterdrückte in letzter Sekunde einen abfälligen Laut.
    Ach ja? Nichts als Menschenlügen! Als Fae dich am meisten brauchte, hast du sie im Stich gelassen und dich lieber im Keller betrunken. Soviel zu eurer Freundschaft.
    Er schluckte die Worte hinunter und murmelte stattdessen etwas, was Landbewohner eine Floskel nannten. Worte, die nichts bedeuteten. Kleine Lügen, um höflich zu bleiben. Dick und Dünn. Noch so ein seltsamer Menschenausdruck, dessen Sinn sich ihm nicht erschloss. Unwirsch lehnte er seine Stirn gegen die kalte Scheibe und sah zu, wie Wiesen und Felder, Häuser und Zäune an ihm vorüberzogen. Es war nur eine kurze Fahrt bis zu der schmalen Straße, in der sich hübsche, kleine Häuser aneinanderdrängten wie Robben in einer Kolonie, dicht an dicht und nahezu jedes in einer anderen Farbe. Wie konnte sich eine solch kurze Zeitdauer nur so lange anfühlen?
    „Kjell“, hörte er Alexander sagen, „bitte sag mir, was du vorhast.“
    „Nur das, was nötig ist“, gab er zurück.
    „Und das wäre?“
    „Ich gehe ins Meer und rufe die Wale. Zusammen werden wir meine Verfolger töten.“
    „Töten?“ Alexander schwieg eine Weile. Dann fügte er leise hinzu: „Du sagst das, als würde es nichts bedeuten.“
    Diesmal konnte Kjell sein Schnaufen nicht zurückhalten. Er hatte so oft getötet und wäre viele Male beinahe selbst getötet worden. An Land war das nicht anders, und trotzdem versuchten diese Wesen, das zu vergessen.
    „Kein Geschöpf kann leben, ohne dass andere Geschöpfe dafür sterben“, gab er zurück. „Kein Tier, keine Pflanze. Ohne Tod gibt es kein Leben. Und wenn mich jemand umbringen will, versuche ich, schneller zu sein.“
    „Ich verstehe. Aber du bist dir deiner Sache nicht sicher?“
    „Bin ich nicht“, gab er zu.
    „Dann willst du also dein Leben riskieren?“
    „Ja.“ Erstaunlich, wie leicht das Wort über seine Lippen kam. Er fühlte nicht den geringsten Zweifel. Vielleicht würde er sterben, aber er konnte Fae, Alexander, Ukulele und Henry nicht zu ewiger Warterei verdammen. Er konnte sich selbst nicht dazu verdammen. Deswegen würde er das Schicksal entscheiden lassen.
    „Vielleicht sind wir nicht stark genug“, sagte er. „Vielleicht ist mein Feind auch schon zu nah. Ich muss erst Kraft sammeln, und das kann ich nur, wenn ich im Meer bin. Gut möglich, dass es Tage dauert, bis ich wiederhergestellt bin.“
    „Dann lass es bleiben!“ Die flehentliche Bitte in Alexanders Stimme rührte ihn. Kurz regte sich in ihm der Wunsch, seinen Plan zu vergessen. Es einfach weiter darauf ankommen zu lassen, irgendwann gefunden zu werden – oder eben nicht. „Tu Fae das nicht an. Sie braucht dich.“
    „Und ich brauche sie. Gerade deswegen muss ich es tun. Die Wale haben mich schon einmal gerettet.“
    „Darf ich dich daran erinnern, wie du nach dieser Rettung ausgesehen hast?“ Alexander stöhnte auf. „Mann, das ist doch Wahnsinn. Tu das nicht. Wer immer hinter dir her ist, er ist zu mächtig.“
    „Zusammen mit den Walen bin ich stärker. Es werden mehr als beim ersten Mal sein. Ich werde sie alle rufen, jeden einzelnen auf der nördlichen Halbkugel. Es werden Hunderte sein, vielleicht sogar Tausende.“
    Kjell biss sich auf die Lippe, als ihm klar wurde, dass er sich soeben selbst belogen hatte. Einen Ruf dieser Art hatte er noch nie ausgesandt. Es würde nicht einfach werden, so viele Geschöpfe zu erreichen und ihnen zu vermitteln, was er von ihnen wollte. Seine Erinnerungen an das Wesen, das es zu töten galt, erfüllte ihn mit lähmendem Schrecken. Nicht anders würde es den Walen ergehen, die seine Bilder empfingen. Hatte er gerade Hunderte gesagt? Sogar Tausende? Vermutlich durfte er sich glücklich schätzen, wenn zwölf lebensmüde Tiere kamen.
    „Ist das dein Ernst?“, brummte Alexander.
    Kjell zwang sich zu einem entschlossenen Ja.
    „Wie hast du noch mal die Größe des Monsters umschrieben? Lege dreißig Blauwale hintereinander? Ganz zu schweigen davon, dass es nicht von dieser Welt ist?“
    „So ungefähr.“
    „Und du glaubst, es gibt Hunderte oder sogar

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