Die Seele des Ozeans
überall zu sein.
Da vorne! Eine Hand, die sich an den dunklen Felsen klammerte. Er rannte darauf zu, fiel auf die Knie, griff in das schäumende Wasser und spürte ihren Körper. Sie bewegte sich nicht mehr. Kjell ertastete Seile, die sie an den Stein fesselten. Eines war eng um ihren Hals gelegt und verhinderte, dass sie ihren Kopf über Wasser halten konnte.
Dieses verdammte Monster! Er würde ihm das Herz herausschneiden, seine Seele trinken, ihn für alle Ewigkeit in einen ruhelosen, verlorenen Geist verwandeln!
Kjell zerrte und riss, ballte alle Kraft und zog sie verzweifelt aus jeder Faser seines Körpers. Seine Hände brannten vor Hitze. Doch die Seile zerrissen nicht. Stattdessen floss die Energie aus ihm heraus wie Wasser aus einem lecken Gefäß. Gleichgültig. Vielleicht hatte sein Zauber gewirkt und Breac war verschwunden. Er tastete über den Sand, spürte eine große Muschel und nahm ihre scharfen Kanten als Schneide. Viel zu langsam, viel zu langsam. Fae starb unter seinen Händen.
Endlich! Ein Seil zerriss. Er fetzte es beiseite, schnitt und sägte an dem zweiten um ihren Hals. Ihr Herz stolperte und kämpfte.
Schneller! Schneller!
Er schnitt in ihre Haut, sah das Blut im Wasser. Doch das Seil zerriss, Faser für Faser. Zu spät?
Ein Schrei brannte in seiner Kehle, als er spürte, wie ihr Herz aufgab. Noch ein Schlag, noch einer. Dann Stille. Die letzten Fasern zerrissen. Er zerrte das Seil von ihrem Hals, packte ihren schlaffen Körper und zog ihn hoch.
Ihr Gesicht war bleich. Grau und leblos.
Nein! Nein!
Mit letzter Kraft schleppte er sie zurück an den Strand, lehnte sie gegen einen Felsen und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. Ihre Seele war noch nicht gegangen. Noch kämpfte sie, noch gab es Hoffnung! Es war nur ein Hauch von Wärme, nur ein Hauch, aber vielleicht genug.
Und dann spürte er es. Zuerst unter seinen tastenden Händen, dann in seiner Seele. Ungläubig zuckte er zurück. Wie war das möglich? Beim Salz der See, zuerst hatte er es für ein Echo seiner eigenen Gefühle gehalten. Für seine Nähe, die er zu ihr fühlte und die sich mit ihrem Körper verwoben hatte. So wie ein Teil von Fae in seinem Blut floss und in seinem Geist lebte.
Rette sie! Schnell! Rette sie beide!
Er stützte sie, indem er eine Hand um ihren Hinterkopf legte und mit dem anderen Arm ihre Taille umschlang. Dann küsste er ihre kalten Lippen. Küsste sie versunken und innig, mit all der Liebe, die er fühlte. Und alle Kraft, die noch in ihm war, floss in ihren Körper hinüber. Kjell spürte, wie ihre Seelen sich berührten. Friedlich und sanft. Oh, es war wundervoll, ihr auf diese Weise nahe zu sein. Als gäbe es kein Fleisch, sondern nur Licht. Das Leben strömte aus ihm heraus und in sie hinein. Es war richtig. Es war das, wofür er bestimmt war.
Ihre Energien flossen ineinander wie warme Strömungen. Wie jene Flüsse im Meer, auf denen er sich so gerne treiben ließ und dabei alle Zeit vergaß. Für eine Weile ließen sie sich gemeinsam tragen.
Hörst du mich, Fae? Ich bin bei dir. Ich werde immer bei dir sein.
… nein! Kjell, was wirst du tun?
Dich verlassen. Aber ich werde nicht wirklich gehen. Ich werde warten.
… nein, bitte nicht! Du darfst nicht, du darfst nicht …
Fae, es ist gut so. Weißt du noch, was ich dir gesagt habe? Dass es immer meine Bestimmung war? Wir werden uns wiedersehen. Ich verspreche es dir. Aber jetzt lauf weg. Bring euch beide in Sicherheit. Schwöre es mir. Sonst war alles umsonst.
Er gab ihr noch mehr. Gab ihr, so viel er konnte. Selbst den letzten Tropfen Wärme, bis sein Fleisch eiskalt und leer war. Als er sich von ihr löste, war das Leben in ihren Körper zurückgekehrt. Kjell kniete neben ihr und konnte kaum mehr die Augen aufhalten. Trotzdem zwang er sich, sie noch einmal anzusehen.
Bei der See, sie war wunderschön.
Schöner als je zuvor.
Das Leben leuchtete in ihren Augen, als sie sich hochstemmte und verwirrt umschaute. Irgendwann würde es stärker sein als ihre Traurigkeit und ihre Angst. Irgendwann.
Ein Knall zerfetzte die Stille. Etwas traf ihn hart im Rücken, gerade als Fae einen Arm nach ihm ausstreckte. In dem Augenblick, da er noch aufrecht kniete, sah er die roten Sprenkel in ihrem Gesicht. Es war über und über davon bedeckt. Sein Blut klebte auf ihrer Haut. Ihre Augen weiteten sich. Starrten ihn schockiert an.
Der zweite Schuss traf ihn in die Schulter und ließ ihn nach vorne kippen, hinein in Faes Arme. Er spürte ihre
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