Unverkäuflich!
Prolog
ANN-KATHRIN
D er Anruf, der alles verändert, der so furchtbar sein soll und so einschneidend, der alles aus der Bahn wirft und nichts mehr so sein lässt, wie es einmal war, erreicht mich im Paradies. Man nennt diesen Ort tatsächlich Paradies, jeder, der einmal dort war: Siargao, eine Insel im Archipel der Philippinen. Palmen wachsen an einem weißen Sandstrand, die Luft ist warm und fühlt sich ganz sanft an, es gibt einen großen Pool und eine Pagode im Meer. Ich bin zu Besuch, um unsere Architekten aus Paris zu treffen, die dabei sind, das Resort umzubauen. Wir wollen »Dedon Island« schaffen, einen Sehnsuchtsort, an dem auch die Gedanken barfuß gehen. Eben erst bin ich gelandet, mit dem Jeep durch den Dschungel gefahren und stehe nun mit einem kühlen Getränk auf dem Sand, als mein Blackberry vibriert. Die Nummer meiner Schwester Sonja leuchtet auf dem Display.
An der Art, wie sie sich meldet, spüre ich, dass etwas nicht stimmt.
»Alles okay bei euch?«, frage ich. Es fällt ihr schwer, etwas zu sagen.
»Ann-Kathrin ist gerade beim Sport ohnmächtig geworden. Sie ist auf dem Weg in die Klinik und nicht bei Bewusstsein. Sie liegt im Koma. Es sieht nicht gut aus. Komm so schnell es geht zurück«, sagt sie. »Ich melde mich wieder, sobald es etwas Neues gibt.«
Ich höre diese Sätze, aber ich verstehe sie nicht. Ich bin wie betäubt, der Strand unter mir scheint sich zu drehen. Ann-Kathrin im Koma? Sie hat mich vor wenigen Tagen noch zum Flughafen gebracht, sie hat mich zum Abschied geküsst, wir feiern im nächsten Jahr den fünfundzwanzigsten Hochzeitstag, wir haben Pläne dafür gemacht, eine lange Reise geplant. Sie ist immer gesund, eine schöne, lebensfrohe Frau, vierundvierzig Jahre alt. Manche sagen, sie habe eine Aura wie ein Engel, weil sie Güte verströmt und Herzlichkeit. Ann-Kathrin im Koma? Das kann nicht sein, kann nicht sein, kann nicht. Es fühlt sich an, als stürze man in einen Abgrund, immer tiefer hinab, und da ist nichts, was einen auffängt.
Ich setze mich hin, mir ist übel, tausend Gedanken auf einmal, vor allem: Wie komme ich schnellstmöglich nach Hamburg zurück? Panik steigt in mir auf. Ich laufe Richtung Restaurant, benachrichtige meine älteste Tochter Carolin, die mich auf dieser Reise begleitet, und Hervé, meinen alten Freund, den Chef unserer Fabrik. Er telefoniert. Der nächste Linienflug zurück zum Internationalen Flughafen Cebu startet erst morgen früh. Die Dämmerung hat bereits eingesetzt und ein Privatjet kann auf der unbeleuchteten Dschungelpiste nicht landen. Vielleicht gibt es einen Helikopter? Hervé, der wie ein Bruder für mich ist, verspricht, sich darum zu kümmern.
Ich sende meiner Frau eine SMS, obwohl mir bewusst ist, dass sie sie nicht lesen kann, es ist so ein Gefühl, etwas, irgendetwas tun zu müssen, ihr meine Liebe zu senden.
Mein Engel, ich schicke dir alle Kraft. Ich komme so schnell wie möglich.
Carolin und ich nehmen uns in die Arme. Was können wir tun? Wir gehen am Strand auf und ab. Wir können nicht begreifen, was gerade passiert: Erst gestern haben wir auf der Insel Cebu das neue Gemeinschaftshaus unserer Stiftung »Dekeyser & Friends« eingeweiht, ein Heim für Menschen von einer Müllhalde, die wir in ein neues Dorf umsiedeln. Vorgestern feierten wir mit den tausenden Angestellten in unserer Fabrik das zehnjährige Werksjubiläum, ein rauschendes Fest mit Musik und Tanz. Vor wenigen Wochen reisten wir mit der ganzen Familie nach New York, um unseren neuen Showroom zu feiern, mitten in Soho, mit einer Party auf einem Dach in Manhattan. Das Leben war so voll, so bunt. Es war.
Ich rufe im Hamburger Krankenhaus an und bekomme den diensthabenden Arzt der Intensivmedizin an den Hörer: »Im Kopf Ihrer Frau ist eine Ader geplatzt, es gibt eine starke Blutung in ihrem Gehirn. Die Hoffnung, dass sie überlebt, ist sehr gering«, sagt er. Ich lege auf. Ich habe das Gefühl, verrückt zu werden. Ich schreie gegen das Meer, so laut ich kann, schreie die Angst und die Trauer und die Verzweiflung heraus. Dann rede ich mir ein, dass es noch Hoffnung gibt. Hat der Arzt nicht das Wort »Hoffnung« benutzt? Jede Minute, die nun ohne neue Nachrichten vergeht, ist eine gute Minute. »Wir schaffen das, wir schaffen das gemeinsam«, sage ich zu Carolin, die unter Schock steht. Ich rede uns das ein, ich versuche es zumindest. Nur die Hoffnung nicht aufgeben. Ich bin ein unverbesserlicher Optimist, ich bin der Meinung, dass
Weitere Kostenlose Bücher