Die Seele des Ozeans
Hände in seinem Haar und auf seinem Gesicht. Sie sprach mit ihm, aber er hörte nur ein fernes, dumpfes Murmeln.
„Lauf weg!“, gelang es ihm zu flüstern. „Lauf! Sonst war alles umsonst.“
~ Fae ~
Sein wunderschönes Gesicht. Es war nicht mehr hell und rein, sondern leblos und starr. Überall war Blut. Sie spürte es auf ihrem Gesicht, roch es, schmeckte es. Und sie sah, wie es sein Hemd durchnässte. Eine Kugel hatte ihn am Rücken getroffen, eine andere an der Schulter. Das Licht, das ihn hätte retten können, war erloschen.
Ihretwegen.
Fae hielt seinen leblosen Körper in ihren Armen. Dort, der kaum mehr sichtbare Fleck am Saum seines Hemdes. Sie hatte ihm Kakao darüber geschüttet, als sie sich zu stürmisch geküsst hatten.
Ich müsste zu Hause sein. Ukulele kocht für uns. Wir wollten uns Filme anschauen. Und dann … dann wären wir …
„Lauf weg!“, hörte sie seine matte Stimme flüstern. „Lauf! Sonst war alles umsonst.“
„Nein!“ Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände, so wie er es zuvor mit ihrem getan hatte, hielt ihn fest und presste ihre Lippen auf seine Stirn. Er war so kalt, so schrecklich kalt, während in ihr die Wärme pulsierte, die ihm gehörte. „Ich bin an allem schuld. Ohne mich hätte er dich nie gefunden.“
„Doch“, flüsterte er kaum hörbar. „Das hätte er. Ich bereue nichts.“
Nein! Wie soll ich damit leben können, dass du für mich gestorben bist?
Sie drückte ihn noch fester an sich, als könnte sie ihm das zurückgeben, was er für sie geopfert hatte.
„Tu mir das nicht an! Bitte! Komm zurück!“
Kjell antwortete nicht mehr. Stattdessen erklang eine scharfe Stimme direkt neben ihr. „Weg von ihm!“
Fae blickte auf und sah den Alten vor sich. Er konnte sich kaum mehr aufrecht halten, zitterte und schlotterte wie ein Sack voller loser Knochen. Das Leben floss aus ihm heraus, ebenso schnell, wie es Kjell verließ. Doch der Alte besaß eine Waffe, und deren Mündung zielte auf ihren Kopf.
Bitte nicht! Ich kann ihn nicht verlassen.
„Bitte.“ Kjell hatte noch einmal die Augen geöffnet. Sein glasiger, fast schon gebrochener Blick war ein einziges, verzweifeltes Flehen. „Bring euch beide in Sicherheit.“
Euch beide?
Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber kein Ton kam heraus. Ihre Kehle war zugeschnürt, ihre Gedanken in eiskaltem Schock festgefroren. Es war das letzte Mal, dass sie das silbergesprenkelte Türkis seiner Augen sah. Das letzte Mal, dass sie ihn berührte.
„Verschwinde!“ Der Lauf der Waffe berührte ihre Stirn. „Ich sage es nicht noch einmal. Sonst wird er zusehen, wie du neben ihm ausblutest.“
Fae stand auf, ohne es zu wollen. Sie stolperte einen Schritt zurück, aber nicht, weil sie den Tod fürchtete. Nicht, weil sich das Metall noch immer kalt an ihre Haut drückte. Es war Kjells Blick. Die stumme, wütende Bitte darin. Sein letzter Wunsch.
„Ich lasse dich nicht allein“, flüsterte sie. „Niemals.“
„Jetzt reicht es aber“, knurrte der Alte. „Weg mit dir!“
Er stieß sie grob vor die Brust. Haltlos taumelte sie rückwärts, stolperte über einen Felsen und fiel darüber. Ein Keuchen drang aus ihrer Kehle, als sie hart aufschlug, seitlich über den Stein rollte und im Sand liegenblieb.
Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung zwang sie ihren tauben Körper aufzuspringen, doch es war zu spät. Breac kniete sich neben Kjell, zerriss das blutgetränkte Hemd und entblößte seine Brust. Dann hob er das Messer und stieß es hinab. Ohne zu zögern, ohne einen Augenblick des Zweifels. Es drang in das Fleisch ein als sei es aus Butter, wurde zur Seite gerissen und wieder herausgezogen. Die Hand, die in den klaffenden Schnitt griff, glich einer hässlichen Vogelklaue.
Fae sank hinter den Stein und krümmte sich zusammen. Kein Schrei war zu hören. Nichts. Nur Stille.
Ihr Geist zog sich zurück. Irgendwann richtete sie sich auf, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Felsen und starrte ins Leere. Gnädiges Nichts erfüllte ihren Kopf. Es wurde dunkel um sie. Still und warm. Alles war nur ein Traum. Ja, sie lag zuhause zwischen ihren Kissen, Seite an Seite mit Kjell, dessen beruhigender Atem sie in den Schlaf wiegte.
Als Hände sie packten und schüttelten, weigerte sie sich, zurückzukehren. Nein, niemals wieder. Ganz gleich, was sie sagten. Ganz gleich, was sie taten. Es war Nacht geworden. Ein heller Mond schien vom Himmel. Im Traum sah Fae, wie Alexander, Henry und Ukulele auf sie einredeten.
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