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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Du bist schwanger. Du bekommst ein Kind. Hast du gehört?“
    Sie tat nichts, blinzelte nur betäubt in das Gesicht des Mannes und streichelte mit zitternden Fingern Kjells Armband.
    Es war Alexander, der das Schweigen brach.
    „Sind Sie sich sicher? Ganz sicher?“
    „Oh ja. Sie befindet sich im zweiten Monat.“
    Stimmengemurmel erhob sich. Ihr Bruder und Ukulele redeten durcheinander, befragten den Arzt nach ihrem Zustand, nach irgendwelchen Werten und nach dem Tumor. Er war verschwunden, das wusste sie. Spurlos verschwunden. Man hatte ihren Körper wieder und wieder untersucht, doch das Ergebnis war immer dasselbe gewesen: Alle Werte waren exzellent. Es war, als sei sie niemals krank gewesen.
    Im zweiten Monat? Dann ist es beim ersten Mal geschehen. In der Nacht, in der er mir alles erzählt hat. Draußen am Lagerfeuer. Und dann lagen wir zwischen den Kissen. Er hat Rembrandt gestreichelt und trug Henrys Hemd. Ich weiß noch, es roch nach Meer und nach verbranntem Stockbrot.
    „Sie ist körperlich bei bester Gesundheit“, sagte der Arzt. „Mit Betonung auf körperlich.“
    „Meine Schwester hat jemanden verloren.“ Alexander strich ihr behutsam über das Haar. Fae spürte, wie ihre Augen zu brennen begannen. So lange hatte sie nicht mehr geweint. Einfach, weil sie es nicht konnte. Aber jetzt drohte der Damm zu brechen.
    Rette euch beide.
    Lauf weg, sonst war alles umsonst.
    „Das Kind ist von dem Mann, den Ihre Schwester verloren hat?“, fragte eine leise Stimme im Nebel. „Habe ich recht?“
    „So ist es“, antwortete Alexander.
    „Dann fragen Sie sich, Fae, ob Sie nicht dem Kind zuliebe ins Leben zurückkehren sollten. Es ist ein Geschenk. Ein Geschenk Ihrer Liebe. Dieser Mann hat Ihnen alles bedeutet, nicht wahr?“
    Sie starrte bewegungslos ins Leere. Erinnerungen umfingen sie wie eine tröstende Umarmung.
    „Fae?“, flüsterte es plötzlich im Wind, gerade als sie sich mit geschlossenen Augen in die verschiedenen Aromen vertieft hatte. Sie blickte auf – und stieß einen Laut der Überraschung aus. Vor ihr stand Kjell. Nass und tropfend. Die dünne, schwarze Decke, die Henry vorhin auf die Leine gehängt hatte, klebte nass an seinem Körper. Aber er schien ebenso wenig zu frieren wie sie.
    „Denken Sie daran“, drang der Arzt weiter auf sie ein, „was er fühlen würde, wenn er sie so sehen könnte. Sie müssen sich zusammenreißen. Für das Kind, das in Ihnen wächst. Für den Mann, der sie über alles geliebt hat, und der durch dieses Geschenk hier“, eine Hand legte sich sanft auf ihren Bauch, „wieder zum Leben erwacht. Kommen Sie zurück, Fae. Sonst wird auch das Letzte sterben, das von Ihrer Liebe geblieben ist.“
    Wieder wurde es dunkel um sie. Alexander fuhr sie nach Hause, Ukulele kochte das Abendessen. Sie saßen am Tisch und aßen schweigend, doch Fae brachte nicht mehr als zwei Bissen herunter, die wie Steine in ihren leeren Magen fielen.
    Der dichte Schleier, in den sie sich eingesponnen hatte, wurde nach und nach transparent. Sie starrte auf die tickende Uhr an der Wand. Dann auf die schimmernden Perlen ihres Armbandes und auf das Sofa, auf dem sie so oft mit Kjell gelegen hatte. In dem Ständer daneben befand sich noch immer die Zeitung, in der die Anzeige des Ulster Museums abgedruckt war.
    Fae legte die Gabel neben den Teller, umfasste mit beiden Händen ihren Bauch und versuchte, das Leben darunter zu spüren.
    „Ich ein Rätsel? Das sagst du mir?“
    „Du bist eines“, beharrte er. Sein Blick studierte sie, glitt an ihrem Körper auf und ab, bis sie das Gefühl hatte, sich in eine Starkstromleitung zu verwandeln. Fae meinte gar, das feine Knistern ihrer Härchen zu hören. „Du bist das bisher größte Rätsel meines Lebens.“
    „Warum?“
    „Keine Ahnung. Sonst wärst du kein Rätsel.“
    „Du musst essen“, sagte Alexander leise. „Bitte. Sonst verlierst du euer Kind. Kjell hat sein Leben für euch gegeben, verdammt noch mal. Ist das dein Dank dafür?“
    „Unser Kind? Aber er wird es nie sehen.“
    Die ersten Worte seit vielen Tagen kratzten wie Disteln in ihrer Kehle.
    „Er ist fort. Für immer. Ich sehe ihn nie wieder. Er ist nicht bei mir, wenn ich aufwache, und er ist nicht bei mir, wenn ich einschlafe. Ich brauche ihn, Alex. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich ihn brauche.“
    „Natürlich habe ich das.“ Er strich ihr über das Haar, ohne zu ahnen, dass es diese Berührung noch schlimmer machte. „Aber er ist für euch beide gestorben.

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