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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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wie raunender Meeresschaum, wenn er ganz sanft über die Haut streicht. Sie war fast noch unheimlicher als sein Blick.
    „Ich will dir etwas zeigen“, sagte Angus. „Aber du musst mir schwören, dass du bei mir bleibst. Ich habe nur noch dich. Ohne dich sterbe ich. Weißt du das? Ich ertrage es nicht, wenn du auch noch weggehst.“
    „Aber er ruft mich, Vater.“
    Ein Eispanzer schloss sich um Angus’ Herz. Die Wut wollte wieder ihre Krallen ausfahren, doch er drängte sie zurück.
    Gottlob hatte er es diesmal bei vier Drinks belassen. Zwei Gläser mehr, und er hätte wieder die Kontrolle verloren.
    „Wer ruft dich?“
    „Der weiße Narwal.“
    „Unsinn. Es gibt hier keine Narwale. Die leben im Norden, mein Junge, wo es nur Eis gibt. Außerdem sind sie grau, nicht weiß.“
    Kjell schüttelte den Kopf. Sein kristallener Blick wurde hart. „Er ist hier und ruft mich. Ich soll zu ihm kommen. Wir sind aus derselben Seele geboren.“
    Übelkeit stieg in Angus auf. Er wollte solche Dinge nicht hören. Er wollte nicht über solche Dinge reden, zum Teufel!
    „Welche Seele? Was meinst du?“
    Aber er kannte die Antwort bereits. Das magische Leuchten. Das Licht, in dem die ganze Macht des Meeres lag. Das Strahlen, das Fionas Körper aufgelöst und sie ihm entrissen hatte.
    „Die Seele des Ozeans“, flüsterte Kjell. Er schloss die Augen und hielt das Gesicht in den Wind, der durch die offene Tür wehte. Nie hatte Angus eine solche Sehnsucht erblickt wie jene, die das Gesicht des Jungen erfüllte. Kjell zitterte. Eine Träne rann ihm aus dem Augenwinkel. Dort hinten in der Dunkelheit glänzte das Meer im Mondlicht, seine Wellenkämme leuchteten in der Nacht wie tanzende Gespenster. Der Körper des Jungen spannte sich an, als würde er jeden Augenblick loslaufen.
    „Er ruft mich. Die ganze Zeit. Ich muss zu ihm.“
    „Nichts wirst du.“ Angus packte Kjells Handgelenk und drückte so fest zu, dass der Junge leise stöhnte. „Hast du eine Ahnung, was da draußen auf dich wartet?“
    „Nein.“ Das Wort klang wie ätzendes Gift. „Ich habe dieses Haus noch nie verlassen. Du lässt mich nie raus.“
    „Aus gutem Grund.“ Angus ging nach draußen und schleifte Kjell hinter sich her. Wieder verbrannte der Zorn jeden klaren Gedanken. „Ich zeige dir, warum ich dich nicht rauslasse. Du kannst Gefühle empfangen. Du weißt immer, wie es mir geht. Du sprichst die Worte aus, bevor ich sie sagen kann. Du spürst viel mehr als jeder Mensch.“
    Kjell blieb stumm. Am liebsten hätte Angus diese ekelerregende Reinheit aus seinem Gesicht geschlagen. Er wollte ihn beschmutzen, ihn leiden sehen, ihn bestrafen für all das, was er ihm angetan hatte. Ihm und Fiona. Kjells Anblick war ein hässliches, schmutziges Messer in seinem Herzen. Die Augen des Jungen leuchteten angesichts der nächtlichen Landschaft. Ja, sie leuchteten genauso machtvoll wie das Zeug, das Fiona getötet hatte. Angus packte noch fester zu, hörte mit tiefer Befriedigung Kjells Schmerzenslaut und zerrte ihn weiter, über die grasbewachsenen Hügel hin zu der Ruine. Der Himmel war klar, der Mond war fast voll. Angus hasste die Art, wie er die Hügel beleuchtete, denn es erinnerte ihn an die vielen nächtlichen Spaziergänge, die er zusammen mit seiner Frau unternommen hatte.
    Meistens waren sie den Weg gegangen, den sie jetzt einschlugen, um später zu den Klippen hinüberzuschwenken und ihren Ausflug mit einer kuscheligen Decke am Strand zu beschließen.
    Mondschein verwandelte die vor ihnen auftauchende Ruine in das Tor zu einer anderen Welt. Fiona hatte diesen Ort geliebt. Der Wind trug den Duft nach wilden Rosen in sich, strich um die efeuüberwucherten Mauern und erzählte jedem, der zuhören wollte, von den grausamen Schicksalen der einstigen Bewohner. Angus ließ sich nicht durch die Blumen täuschen, die sich vor der Dunkelheit verschlossen hatten. Die Natur spross und grünte in verschwenderischer Fülle, als seien verwehtes Leid und alter Tod ein guter Dünger für das Leben.
    Angus zog Kjell durch einen Eingang, der fast völlig von Efeu überwuchert war. Eine Halle öffnete sich vor ihnen, eingefasst von zerbröckelnden Mauern. Noch immer ragten bleiche Säulen in den Himmel hinauf wie ein Mahnmal zerstörter Leben. An den Wänden befanden sich in Stein gemeißelte Verzierungen, und dort, wo man die Überreste eines Kamins erkennen konnte, stand die Statue eines Heiligen und starrte mit gefalteten Händen flehend in den Himmel hinauf. Angus

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