Die Seelenjägerin - 1
ihm das angetan hatte, gäbe es gewiss auch einen Weg, um sich zu retten. Selbst wenn er sie töten müsste.
An diesem Abend verlieh ihm der Anblick der Türme neue Kräfte. Die Monde standen hoch am Himmel und spendeten ausreichend Licht, und sein Pferd schien nicht allzu müde zu sein. Nachdem er zum Essen angehalten hatte, beschloss er, noch etwas weiter zu reiten, um vielleicht die Entfernung auf eine einzige Tagesstrecke zu verkürzen. Seine guten Tage waren selten geworden, und er wollte den Energieschub nützen, bevor er versiegte.
Die Sonne war untergegangen, es dämmerte, der Himmel war tiefblau. Andovan konnte Gansang nicht mehr sehen, aber er glaubte zu spüren , wie es auf ihn wartete. War es Illusion, dass er auch sie spürte? War Colivars Zauber so stark? Würde er bei seinem Eintreffen …
… schwarzer Zorn brach über ihn herein, verwandelte sich in Feuer, in rotglühenden Hass …
Er keuchte auf und klammerte sich mit beiden Händen am Sattel fest …
… schwarzer Hass, Zorn, ICH KNIE VOR NIEMANDEM!, Steine brechen, Schreie gellen durch die Dämmerung …
Er konnte nicht atmen. Schwindel überkam ihn, und so sehr er sich auch wehrte, er verlor den Halt. Sein Pferd spürte die unheimliche Stimmung, bäumte sich angstvoll auf, und er stürzte, stürzte …
… hinab in die Finsternis, alles voll Blut, niederprasselnde Steine und Schreie, Schreie …
Es gelang ihm gerade noch, sich im Sturz so weit zur Seite zu werfen, dass er nicht unter die Hufe seines Pferdes geriet, dann zuckte ein stechender Schmerz durch seine Schulter …
… eine schwarz gekleidete Puppe kracht zu Boden und regt sich nicht mehr, SCHLAG ZURÜCK! SCHLAG ZURÜCK! SCHLAG ZURÜCK!
Er rang nach Luft, kämpfte gegen die Ohnmacht an. Das war bei Weitem der schwerste Anfall bisher, und er fürchtete, nicht wieder aufzuwachen, wenn er jetzt nachgäbe. Diesmal hatte ihn nicht nur Schwäche übermannt, sondern ein Wirbelsturm von Bildern und Gefühlen war mit erschreckender Wucht in sein Gehirn eingebrochen. Geschah alles, was er da sah, tatsächlich irgendwo, oder hatten sich die Albträume nun auch im Wachen seines Bewusstseins bemächtigt? Trieb ihn die Krankheit in den Wahnsinn?
Gansangs Türme fielen. Er sah sie einstürzen. Zunächst zerbrachen die oberen Stockwerke noch langsam nacheinander, Balkone und Balustraden zerfielen, Seidenvorhänge fingen Feuer und flatterten wie sterbende Vögel zu Boden … dann erschütterte ein Grollen die Erde, die breiten Grundmauern bekamen Risse, und zwischen den Steinen züngelten Flammen hervor. Es war, als stünde er selbst dort auf der Straße und beobachte die Zerstörung – starr vor Entsetzen, wie angewurzelt. Granit, Marmor, Mörtel und Holz hagelten in großen Brocken herab, und es gab keinen Schutz. Nirgendwo ein Versteck. Unter seinen Füßen bäumte sich die Erde auf, Turm für Turm fiel in sich zusammen – nur das bizarre tür- und fensterlose Bauwerk in der Mitte blieb aufrecht und unerschüttert und beaufsichtigte wie ein Wachposten das Vernichtungswerk.
Und plötzlich erkannte Andovan mit verzweifelter Klarheit, warum er diese Vision hatte und was sie bedeutete. Wäre er bei Kräften gewesen, er hätte seinen Zorn zum Himmel geschrieen und die Götter für ihre Grausamkeit verflucht, tatsächlich brachte er nur ein gequältes Wimmern zustande, während die Bilder langsam verblassten und von tiefer Erschöpfung und einer so überwältigenden Schwäche abgelöst wurden, dass er nicht wusste, ob er sich jemals wieder würde bewegen können.
Sie war fort. War nicht länger in Gansang. Er hatte sie verloren …
Dann verschwand auch der letzte Turm, und nur Finsternis blieb zurück.
Kapitel 21
Als Gwynofar nach dem Gespräch mit Danton und Kostas in ihr Schlafgemach zurückkehrte, hatte ihre Zofe ein Bad für sie eingelassen. Merian hatte offenbar bemerkt, dass ihre Herrin nach jedem Treffen mit dem Magister den Wunsch nach Reinigung verspürte, und war ihrer Bitte zuvorgekommen. An jedem anderen Tag wäre Gwynofar beunruhigt gewesen – denn es bedeutete, dass sie ihre wahren Gefühle für diesen Mann nicht ganz hatte verbergen können –, doch jetzt war sie dafür einfach zu müde. Sie fühlte sich, als wären ihr Schwärme von Küchenschaben über Körper und Seele gekrochen, und sie hatte die Erfahrung gemacht, dass sich mit Wasser und Seife zumindest das körperliche Unbehagen vertreiben ließ. Alles andere – alles andere brauchte eben Zeit. Sie musste die
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