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Die Seelenjägerin - 1

Die Seelenjägerin - 1

Titel: Die Seelenjägerin - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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unter den Fingern zerrann, in seine Klause im Wald zurückgezogen haben. Natürlich konnte sie ihn danach niemals fragen. Aber er hatte ihr einmal erklärt, was sie tun sollte, um sich über sich selbst klar zu werden: Schau in den Spiegel und frage dich, ob dir gefällt, was du siehst. Wenn die Antwort Nein lautet, wird es Zeit, deine Entscheidungen zu überdenken. War er in den Wald geflohen, weil ihm in Ulran das Gesicht im Spiegel unerträglich geworden war?
    Am Morgen des Festes war es kühl und frisch, der Wind kam von Westen und blies den Gestank des »Viertels« auf das Meer hinaus; es versprach ein schöner Tag zu werden. Ravi und sein Gefolge machten sich schon zeitig am Vormittag auf den Weg durch das Netz aus Türmen und Brücken, das nach einem komplexen und – für Kamala – unverständlichen System den Stadtberg überzog. Bei jedem neuen Turm hielt man an, um dem Besitzer seine Aufwartung zu machen. Nachdem man Geschenke ausgetauscht und sich den neuesten Klatsch erzählt hatte, wanderte Ravi mit seinem Gefolge und den bereits anwesenden Besuchern weiter. Am späten Nachmittag zogen an die dreißig Festgäste, angeführt von den reichsten und angesehensten Patriziern der Stadt, in bunten Seidengewändern wie ein Pfauenschwarm über die schmalen, schwankenden Brücken. Kamala ging an Ravis Seite, wie er es ihr versprochen hatte. Insgeheim zitterte sie vor Aufregung, wenn sie daran dachte, dass all die vornehmen Herrschaften sie für ihresgleichen hielten, doch zugleich spürte sie einen dumpfen Groll, weil sie zu solchen Heimlichkeiten gezwungen war. Wäre sie ein Mann, sie bräuchte nur die traditionelle schwarze Magisterrobe anzulegen, und alle Welt würde ihr die Achtung erweisen, die ihr zustand. Nur weil sie eine Frau war, musste sie unentwegt eine andere Rolle spielen und sich damit begnügen, lediglich wegen ihres Begleiters respektiert zu werden.
    Du hättest ja die Möglichkeit, das Aussehen eines Mannes anzunehmen , erinnerte sie sich selbst. Mit Magie konnte sie ihrem Körper jede beliebige Gestalt verleihen. Wenn sie sich die Züge eines Mannes gäbe, ihren Körper etwas größer und ihre Schultern etwas breiter machte und sich in das geheimnisvolle Schwarz der Magister hüllte, bräuchte sie, vorausgesetzt, die Robe wäre lang genug, nicht einmal die wesentlichen Geschlechtsmerkmale zu verändern. Wer käme schon auf den Gedanken, sie einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen?
    Doch das wäre wie eine Niederlage, und noch wollte sie sich nicht geschlagen geben. Sie hatte sich nicht jahrelang durch ihre Ausbildung gequält und bei der ersten Translatio ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um dann durch eine kindische Maskerade ihren Status zu demonstrieren. Die Magister werden mich so nehmen müssen, wie ich bin , dachte sie störrisch, oder ich werde auf ihre Anerkennung verzichten.
    Ravis Gruppe traf mit Verspätung ein, doch das war wohl so beabsichtigt und hing damit zusammen, dass sich in dem Zug so illustre Persönlichkeiten befanden. Die Gäste wurden ausgerufen, wenn sie den Saal betraten, und die Spitzen von Gansangs Gesellschaft schätzten es, wenn bei ihrem Eintreffen bereits genügend Publikum zugegen war, um sie gebührend zu bewundern. Ravi selbst trat als einer der Letzten ein – wohl ein Beweis für sein Ansehen. Kamala ging an seinem Arm und wurde von einem jungen Mann in der schwarzgoldenen Livree des Hauses Savresi als »die Dame Sidra« angekündigt. Viele Köpfe drehten sich, als sie an Ravis Seite die Marmortreppe hinabstieg, und sie hörte tausendfaches Getuschel, ohne die Worte zu verstehen; es klang wie das Summen eines Heuschreckenschwarms.
    Der riesige Festsaal des Savresi-Turms war bis auf den letzten Platz gefüllt mit den glanzvollsten Pfauen des Reiches. Der Saal nahm das gesamte Erdgeschoss des Gebäudes ein und war so hoch, dass die gewölbte Decke im Schatten verschwand. Die Buntglasfenster in den Wänden leuchteten bei Tageslicht gewiss aufs Prächtigste, jetzt am Abend fiel jedoch nur der Fackelschein von den Brücken und Straßen dahinter mit unheimlichem Flackern durch die bunten Scheiben, und bei jedem Windstoß, der in die Flammen fuhr, tanzten farbige Flecken über den Boden. An einem Ende der Halle standen große Tische mit den erlesensten Speisen, darunter Naschwerk in Form von Kauffahrerschiffen, Burgen und sogar exotischen Tieren; auf der anderen Seite erhob sich eine Bühne, auf der Musikanten eine Weise aus dem Süden spielten, die Bilder von

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