Die Seelenjägerin
immer du willst …«
»… schließlich wird Ravi nicht so bald nachprüfen, ob auch nichts fehlt«, fügte er hinzu und lachte finster.
Kapitel 26
Es war ein düsterer Traum. Der Schauplatz war eine tote Landschaft, kahlgescheuert von Wind und Hagel, frostig wie die nordischen Wüsten vor dem Einbruch des Winters, wenn jeder Atemzug die Lungen gefrieren lässt. Ramirus überlegte kurz, ob er umkehren und auf eine günstigere Nacht und einen besseren Traum warten sollte. Normalerweise konnte er jeden Morati-Traum mit geringem Aufwand nach seinen Wünschen formen, aber dazu brauchte er einen eher plumpen Zauber, der kaum unbemerkt bliebe. Und das wäre schlecht für die Träumerin. Also musste er diesmal leider mit dem Material arbeiten, das ihm sein Medium lieferte.
Nachdenklich betastete er den Gegenstand in seiner Hand. Über ihm kreisten Aasvögel, die mit schrillem Hungergeschrei nach frischem Fleisch suchten und sich schließlich unverrichteter Dinge entfernten.
Nein, entschied er endlich. Er würde jetzt mit ihr sprechen. Die Verbindung war gut, der Traum war klar und deutlich, und die etwas unheilvolle Stimmung spiegelte nur den Gemütszustand der Träumerin wider. Sein Medium war rastlos und schlief nicht allzu oft; er hatte bereits eine Woche damit vergeudet, sich in ihre Träume einzuschleusen, und sich dabei mit jedem Versuch aufs Neue der Gefahr einer Entdeckung ausgesetzt. Wenn er sich jetzt zurückzog, hatte er keine Gewähr, dass er beim nächsten Mal erfolgreicher wäre, und das Risiko würde nur immer noch größer. Nein, dies war die richtige Nacht, und dies war auch der richtige Traum.
Schwere Gewitterwolken waren im Anzug und warfen lange Schatten auf die Erde. Die düstere Stimmung der Träumerin ließ vermuten, dass sie sich dort befand, wo es am dunkelsten war. Während er ruhigen Schrittes in diese Richtung strebte, umgab er sich mit Seelenfeuer und einzelnen Versatzstücken des Traumes, um sich vor anderen Machtbegabten zu tarnen. An sich hätte er sich die Mühe sparen können; wenn ein Magister jetzt den Blick auf sie richtete, würde er die Gegenwart eines Bruders so deutlich spüren, als hätte Ramirus seine Ankunft mit Trompetenschall verkündet. Wenn er allerdings nicht gezielt nach ihr suchte, könnte er die Zeichen übersehen, wenn sie gut verborgen waren, und so fühlte er sich doch dazu verpflichtet.
Wenig später sah er den Speerkreis vor sich; uralte, verwitterte, verfallende Steinsäulen. Nicht wie die Speere der wirklichen Welt, auch nicht wie deren Nachbildungen in Gwynofars Garten, sondern so, wie ihre Ängste sie gestaltet hatten. Zeit und Witterungseinflüsse hatten die Traumsteine zur Hälfte zu Schutthaufen zerfallen lassen, und das bedeutete nach ihrem Glauben, dass sie ebendiese Menge von ihrer Kraft verloren hatten. Ramirus kannte die Sagen ihres Volkes gut genug, um den Ernst der Warnung begreifen und um nachempfinden zu können, wie sehr der Anblick sie erschrecken musste.
Die Großkönigin kniete mit geschlossenen Augen in der Mitte dieses Kreises aus verwundeten Steinen, vielleicht betete sie. Er näherte sich langsam und leise und beobachtete sie zunächst nur. Sie wirkte zu zerbrechlich, um an diesem Ort überleben zu können, aber er hatte sich vor Dantons Heirat eingehend mit den Protektorengeschlechtern beschäftigt und wusste, dass das Illusion war; ihre Familie war berühmt für ihre körperliche und geistige Widerstandsfähigkeit, und sie war keine Ausnahme. Danton hatte diese Eigenschaften nie so recht gewürdigt, und andere Männer fragten nur selten danach. Die meisten Männer waren im Grunde ihres Herzens oberflächlich, überlegte der Magister, und wenn man ihnen ein zartes Wesen mit sanfter Stimme, schmalen Händen und einer Haut so bleich wie das Mondlicht zeigte, dann hielten sie es tatsächlich für schwach und leicht zu beherrschen. Mit etwas Glück gereichte ihr das gerade jetzt zum Vorteil, und der neue Magister des Großkönigs käme gar nicht auf die Idee, ihre Träume zu überwachen oder im wachen Zustand ihr Bewusstsein nach Spuren des Verrats zu durchforsten.
Denn Verrat wäre es für Danton, wenn er erführe, dass sie mit mir Verbindung aufgenommen hat , dachte Ramirus. Die Götter mögen ihr beistehen, sollte es je dazu kommen.
Er wartete ein paar Minuten, um zu sehen, ob sie ihn bemerkte, dann machte er sie mit einem dünnen Faden Seelenfeuer auf sich aufmerksam und zeigte ihr zugleich, dass er tatsächlich in ihren Traum
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