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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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schaute zu Ramirus auf. Jetzt verstand Colivar auch, warum der andere so finster dreinblickte.
    »Nun?«, fragte der Prinz. »Etwas Brauchbares entdeckt?«
    Colivar gab die Hände des jungen Mannes frei. Ja. Nachdem er nun wusste, worauf er zu achten hatte, sah er die Spuren der Schwundsucht überall. Er musste sich sehr zusammennehmen, um keine Miene zu verziehen, er durfte dem Prinzen nicht zeigen, was er empfand. Der Junge musste geschützt werden. Niemand wusste, was er tun würde, wenn er Gewissheit bekäme. Oder was sein Vater tun würde, wenn er die Wahrheit erfuhr.
    Du hast von einer Bedrohung unserer Existenz gesprochen, Ramirus, und das war nicht übertrieben.
    »Ich muss mich mit meinem Kollegen austauschen«, sagte er langsam. »Im Süden gibt es etliche Krankheiten mit solchen Symptomen. Die müssen wir erst abhandeln, bevor ich einen gesicherten Befund erstellen kann.«
    Der Prinz machte seiner Ungeduld mit einem dramatischen Seufzer Luft, doch dann nickte er. Einem Magister widersprach man nicht. Der Junge hatte große Ähnlichkeit mit einem jungen Löwen, dachte Colivar: kühn, rastlos, auf Unabhängigkeit bedacht. Hätte ein menschlicher Feind ihn angegriffen, er hätte sicherlich wie ein Löwe die Zähne gefletscht und die Krallen ausgefahren. Doch diese Krankheit konnte man nicht wie ein Löwe bekämpfen, sie war ein Schattengebilde rätselhafter Herkunft, ein Geheimnis, und dass er sie noch nicht besiegt hatte, belastete ihn nicht nur körperlich, es kränkte auch seinen Stolz.
    Wenn die Antwort so ausfällt, wie ich glaube, dann kann es keinen Sieg geben.
    Während Ramirus ihn hinausführte, sprach Colivar kein Wort. Fast hätte er vergessen, sich noch einmal zu verneigen. Als sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten, blieb er reglos wie eine Statue stehen, um seine Beobachtungen zu ordnen und sich über ihre Bedeutung klar zu werden.
    »Verstehst du jetzt?«, fragte Ramirus leise.
    »Er ist dem Tod geweiht.«
    »Ja.«
    »Und wir …«
    »Pst. Warte.« Ramirus bedeutete Colivar, den Rückweg einzuschlagen. Diesmal war der fremde Magister viel zu tief in seine düsteren Gedanken versunken, um Kleinigkeiten wie den Staub oder die verblichenen Wandteppiche zu bemerken.
    Als sie so weit entfernt waren, dass weder Andovan noch seine Diener sie belauschen konnten, sagte Ramirus: »Danton ahnt die Wahrheit. Aber er wartet darauf, dass ich die Krankheit benenne, und ich habe mich noch nicht offiziell festgelegt.«
    »Wenn es die Schwundsucht ist …« Colivar zog hörbar den Atem ein. »Dann gibt es keine Heilung.«
    Ramirus nickte grimmig.
    »Das heißt, einer von uns ist die Ursache. Ein Magister.«
    »Ja«, sagte Ramirus. An seinem Unterkiefer zuckte ein Muskel. »Jetzt weißt du, warum ich euch alle zusammengerufen habe.«
    »Wenn Danton herausfindet, woran er stirbt …«
    »Das wird nicht geschehen.« Ramirus’ Miene wurde noch finsterer. »Das darf nicht geschehen.«
    »Aber wenn er …«
    Der Königliche Magister hob die Hand und unterbrach ihn. »Nicht hier, Colivar. Derart vertrauliche Dinge darf man nicht im Freien besprechen. Warte, bis wir in meinen Gemächern sind. Dort sind Schutzzauber in Kraft, die alle Lauscher abschrecken. Die anderen warten auf deine Stellungnahme.«
    »Und was ist mit dir?«, fragte Colivar angriffslustig. »Wartest auch du auf meine Stellungnahme?«
    Ramirus sah ihn an. Die hellgrauen Augen verrieten nichts. »Der Feind meines Königs wäre nicht hier, wenn ich seine Meinung nicht schätzte«, sagte er ruhig. Etwas wie ein Lächeln zuckte um die schmalen Lippen. »Aber lass dir das bitte nicht zu Kopf steigen.«

Kapitel 4
    Aethanus erinnert sich:
    Da steht sie nun, ein Ausbund an Gegensätzen, in der Tür. Das feuerrote Haar umrahmt, einer Flammenkrone gleich, ein Gespenstergesicht, dem die Nacht alle Substanz entzogen hat. Der schlanke Körper ist drahtig und kraftvoll, aber sie bewegt sich so zaghaft wie eine Greisin, jede Geste scheint sie Überwindung zu kosten. Gewöhnlich ist sie geschmeidig wie eine Katze, doch jetzt tastet sie sich ungeschickt vorwärts, als wäre irgendwo zwischen Körper und Geist eine lebenswichtige Verbindung abgerissen. Jeder Schritt erfordert eine bewusste Entscheidung. Jede Bewegung strengt an. Die Mühen des Lebens haben sich in die jungen Züge eingegraben wie in das Antlitz eines uralten Bauern. Sie ist bereit für den Tod.
    Bald , denkt er. Bald ist es so weit.
    »Ich habe in mein Inneres geschaut, wie Ihr es mich

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