Die Seelenjägerin
Seite, wie ihr Haar aussieht, kümmert sie wenig, solange es nicht stört. Wie kann jemand, dem die eigene Erscheinung so gleichgültig ist, so unglaublich reizvoll sein? , geht es ihm durch den Sinn. Die Natur ist in dieser Hinsicht grausam, sie verdammt die Prinzessin in ihrem Elfenbeinturm dazu, ein Leben lang mit Schminke und Brenneisen vergeblich nach jener natürlichen Schönheit zu trachten, die der Hure aus bäuerlichem Haus aus einer Laune heraus geschenkt wurde. Kamalas schlanke, kräftige Gestalt mag Männer kalt lassen, die Wert auf Grübchenwangen legen, aber wenn ein Mann das sprühende Feuer der Weiblichkeit schätzt, wenn er nur eine wahrhaft unabhängige Frau zu begehren vermag und sich eher von wildem Temperament als von schmachtender Schönheit angezogen fühlt, dann wird er diesem Geschöpf rettungslos verfallen.
Immer vorausgesetzt, sie kommt jemals wieder einem sterblichen Mann unter die Augen , schließt er finster. Das bleibt abzuwarten.
»Und was ist meine Aufgabe für heute, Meister Aethanus? Oder kommt es gar nicht mehr darauf an? Soll ich einfach so lange Wolken hin und her schieben, bis mein Athra erschöpft ist?«
Sie wirft die Frage wie einen Scherz in den Raum, aber er geht nicht darauf ein. Sein ernster Blick trifft und entwaffnet sie jäh. Ihr schüchternes Lächeln erlischt wie eine Kerzenflamme im Wind.
»Ja«, sagt er. »Schieb die Wolken hin und her.«
Er sieht, wie sie erbebt, aber sie stellt keine Fragen. Das ist gut. Sie hat verstanden.
Langsam geht sie nach draußen. Er folgt ihr. Die Dämmerung ist hereingebrochen, der Himmel zeigt sich herzzerreißend schön, von einem tiefen Blau mit schwarz flimmernden Rändern. Die Wolken scharen sich wie Nebelgeister um das Antlitz des Vollmonds, der dicht über den Baumkronen schwebt. Die denkbar beste Nacht für eine solche Übung.
Sie nimmt ihren Platz mitten auf der Lichtung ein und wendet sich dem Mond zu. Er spürt, wie sie tief in ihrem Inneren nach der Quelle aller Macht sucht, wie sie, so hat sie es einmal beschrieben, »ihre Seele von innen nach außen kehrt«. Diesmal muss sie dafür viel Mühe aufwenden, und das Ergebnis ist kläglich. Ihre Lebenskraft ist nahezu erschöpft, ausgebrannt in wenigen Jahren durch magische Übungen, die nur darauf ausgerichtet sind, ihrer Seele unnatürlich schnell alle natürlichen Kräfte zu entziehen. Sie ist noch jung, körperlich strotzt sie nur so vor Kraft, aber von dem inneren Feuer, das den Leib am Leben erhält, ist so gut wie nichts geblieben. Heute Nacht … heute Nacht wird der letzte kostbare Funke erlöschen. Und wenn sie Glück hat, wenn sie stark ist und vor allem, wenn sie die nötige Entschlossenheit aufbringt … wird etwas anderes seinen Platz einnehmen.
Ob sie es erträgt, mit diesem Etwas zu leben, ist eine ganz andere Frage.
Mit einer Geste von geradezu gespenstischer Anmut hebt sie die Arme zum Himmel, als wollte sie die Wolken beschwören, sich aus eigener Kraft in Bewegung zu setzen. Er hat ihr keine einfache Aufgabe gestellt, denn auch wenn die Hexen in Dürrezeiten gern mit ihren Künsten prahlen, ist das Wetter nur schwer zu steuern. Die Macht einer einzelnen Menschenseele muss so fest mit Erde und Himmel verwoben werden, bis kein Stern mehr leuchten und kein Wind mehr wehen kann, ohne diese Seele mit erschauern zu lassen. Dann, erst dann lassen sich kleine Bereiche verändern, ohne dass das große Ganze aus dem Gleichgewicht gerät.
Er sieht, wie sie tief Luft holt, und fragt sich, ob es das letzte Mal ist.
Er hatte vorgehabt, sie nur mit seinen physischen Augen zu beobachten, ohne tiefer in sie einzudringen. Aber das Band zwischen Schüler und Lehrer erweist sich bereits als stark, wo es nur um die Vermittlung profaner Künste geht, um wie viel enger erst da, wo die Geheimnisse des Seelenfeuers weitergegeben werden. Ohne das Zweite Gesicht des Magisters beschwören zu müssen, sieht er ihre Macht in einem so reinen, so hellen Strahl himmelwärts schießen, dass er zunächst geblendet ist. Was hat dieses wilde kleine Luder nur für innere Kräfte! Befriedigt sieht er zu, wie sie ihre Energien mit der Materie des Windes verbindet, wie geschickt sie jede einzelne Himmelsschicht an ihren Willen schmiedet, damit sich kein einziges Fäserchen entziehen kann, wenn sie den Wolken befiehlt, sich zu bewegen. Wie vollkommen sie die Künste des Hexenvolks beherrscht! Warum hat sie nicht Vernunft angenommen und sich gerettet, solange noch Zeit war …
Denn dafür
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