Die Seelenjägerin
Speer aus den Händen, aber es war bereits zu spät. Ein Blutstrahl schoss ihm aus dem Maul, und er presste die mächtigen Schwingen krampfhaft gegen den Boden. Jetzt kämpfte er um sein Leben. Der Schwanz peitschte wild und ziellos hin und her; einmal traf er den blonden Hünen rein zufällig noch einmal, und Colivar hörte ihn vor Schmerz aufschreien.
Dann wurden die Bewegungen der großen Bestie allmählich langsamer. Die durchsichtigen Flügel sanken kraftlos herab und blieben, schwarz auf schwarz, auf dem Boden liegen. Alle Farben waren erloschen. Die Erde unter dem Ikata war ebenso von Blut durchtränkt wie der Mann, der vor ihm lag. Kein Laut war mehr zu hören.
Colivar wagte wieder zu atmen.
Er warf einen Blick auf den Habicht hinter sich, um sich davon zu überzeugen, dass der Vogel noch lebte, dann ging er zu dem gefallenen Krieger. Der Mann war schwer verletzt, aber nicht so schwer, dass er mit Magie nicht zu heilen gewesen wäre. Colivar fügte die gebrochenen Rippen zusammen und nahm den Druck von den gequetschten Organen. Auch die eingefallene Lunge spannte er wieder auf. Der Fremde sprach kein Wort, er hustete nur hin und wieder Blut und holte mühsam Luft, um während der Behandlung nicht das Bewusstsein zu verlieren.
Als seine Atemzüge schließlich ruhiger wurden und alle Körperteile wieder ihre Arbeit aufgenommen hatten, trat Colivar zurück und sah ihn an. Der Krieger quälte sich ein spöttisches Lächeln ab. »Wie man sieht, haben die alten Mythen nicht übertrieben.«
Colivar half ihm auf die Beine. »Soll das heißen, Ihr habt zum ersten Mal einen Seelenfresser gesehen?«
»O ja.« Er wollte sich aus alter Gewohnheit den Schmutz von den Kleidern streifen; tatsächlich klebte jedoch zu viel Blut und Asche an ihm, als dass er sich mit einer einfachen Geste hätte säubern können. »Soweit ich weiß, ist es das erste Mal, dass überhaupt jemand einen gesehen hat.«
Colivar sagte nichts.
»Nun ja«. Die Stimme kam von hinten. »Das war recht eindrucksvoll.«
Colivar drehte sich nicht um. »Du hättest helfen können.«
»Wenn ich zusehen konnte, wie ein Heiliger Hüter auf die Probe gestellt wurde? Wohl kaum.« Ramirus trat näher und betrachtete den Kadaver der Bestie. »Außerdem bin ich kein Krieger, sondern ein Gelehrter. Aber vielleicht sollte man sich bekannt machen?« Er nickte zu dem blutbefleckten Hüter hin. »Rhys nas Keirdwyn, Hüter des Heiligen Zorns, das ist Colivar, Königlicher Magister eines kleinen Staates im Süden, dessen Namen ich vergessen habe.«
»Anchasa«, murmelte Colivar. Er grüßte Rhys mit knappem Nicken. »Ihr habt ein bewundernswertes Gespür für den richtigen Zeitpunkt … wenn ich das sagen darf?«
»Reiner Zufall«, versicherte ihm Ramirus. »Rhys ist Großkönigin Gwynofars Bruder und vielleicht ihr engster Vertrauter. Ich wollte ihn zu ihr bringen, damit er ihr für die anstehende Aufgabe Mut zuspräche, als wir dieses … Ding entdeckten.«
Er trat zu dem Riesenwesen und legte ihm die Hand auf die Flanke. »Ist es das, wonach es aussieht?«, hauchte er. »Tatsächlich?«
»Ich fürchte ja«, sagte Colivar.
»Dann sind sie zurückgekehrt?«
Rhys fluchte verhalten, als auch Colivar an die Seite des Ikata trat. Dessen Haut war kalt und glatt wie die einer Schlange. Über den Rücken verlief eine Reihe von scharfen Stacheln, viele davon länger als eine Männerhand. Colivar zog den schweren Körper zu sich heran und zeigte den anderen eine Stelle, wo mehrere dieser Stacheln entfernt worden waren. Dort war die Haut dick vernarbt; der Eingriff hatte vor langer Zeit stattgefunden.
»Der hier kommt aus dem Norden«, sagte er ruhig, doch bei den Worten überlief ihn ein Schauer. »Von jenseits des Heiligen Zorns. Das heißt …« Er sah Rhys an. »Sie haben es geschafft, eine Lücke zu finden.«
Der Krieger sah ihn grimmig an. »Dann müssen wir diese Lücke irgendwie schließen, bevor noch andere folgen können.«
Dafür war es bereits zu spät, doch Colivar behielt sein Wissen für sich. Die Ikati nisteten bereits in den Gebieten der Menschen, und das hieß, dass man es früher oder später mit einem ganzen Schwarm zu tun bekommen würde. Aber ein Krieger, der soeben einen Seelenfresser besiegt hatte, verdiente einen Moment der Hoffnung.
Es herrscht Krieg in der Welt , dachte er grimmig bei sich.
Nur allzu gern hätte er Ramirus gefragt, ob der die Macht des Wesens ebenso am eigenen Leibe gespürt hatte wie er selbst. Die Magister mussten
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