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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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Kindheit warnten sie, dem Angebot zu trauen. Ravi mochte von ihrer Leistung beeindruckt sein, dennoch war sie nach wie vor Abschaum für ihn. Klassenunterschiede verschwanden nicht einfach, nur weil man die Macht hatte, auch wenn ein kluger Mann die Schranken taktvoll umgehen konnte, wenn es seinen Zwecken diente.
    Und dann ging ihr ein Licht auf.
    Er weiß nicht, wer du wirklich bist. Er hat keine Ahnung von deiner Herkunft. Für ihn bist du ein unbeschriebenes Blatt, eine unbekannte Größe, und er wird nur so viel über dich erfahren, wie du ihm verrätst.
    Unwillkürlich blickte sie auf ihre Hände hinab und stellte fest, wie sauber sie waren. Längst war der Schmutz des »Viertels«, der jede Hautfalte hervorhob, aus ihren Poren verschwunden. Dafür hatte Aethanus gesorgt. Wie viele andere Spuren ihrer bäuerlichen Herkunft und ihres harten Lebens mochten inzwischen getilgt sein? Wofür würde ein Mann von edler Geburt, der nicht mehr wusste als: Sie hat im »Viertel« etliche Männer getötet , sie wohl halten?
    Ein berauschender Gedanke.
    Sie rief sich ihre Empfindungen unmittelbar vor dem Kampf in Erinnerung. Die erschreckende Entdeckung, dass sie das Seelenfeuer zwar in nahezu unbegrenzter Menge beschwören konnte, aber Zeit und Konzentration brauchte, um es einzusetzen, und deshalb doch nicht unverwundbar war. Sie dachte auch an Aethanus’ Warnungen, besonders, was die Translatio anging: Wenn dein Konjunkt stirbt, bist du hilflos, denn die Suche nach einem anderen beschäftigt dich ganz und gar. Der Zustand dauert nur einen Augenblick, aber wenn du gerade dann von Feinden umringt bist, kann schon dieser Augenblick genügen. Als Magister hatte man eine gewisse Sicherheit, aber man war nicht gegen alle Bedrohungen gefeit.
    Andererseits …
    Sie erinnerte sich auch, wie die Macht sie durchströmt hatte, eine tobende Urgewalt, die kein Mensch zähmen konnte. Ein riesiges Ungeheuer in ihrer Seele, das seine Wut hinausbrüllte, so großartig und mächtig, dass einem schwindlig wurde. Seither gierte sie danach, sich mit der ganzen Welt zu messen.
    Was kann dir dieser Ravi schon anhaben? Er weiß nicht, was du wirklich bist, also hast du auch nichts von ihm zu befürchten.
    Der Diener wartete immer noch. Er würde den ganzen Nachmittag warten, wenn sie das so wollte. Offenbar hatte er entsprechende Anweisungen erhalten.
    Das gab den Ausschlag.
    »Zeig mir den Weg«, befahl sie gebieterisch. »Ich möchte deinen Herrn kennenlernen.«
    Sie war, abgesehen von einem kurzen Ausflug an der Seite ihrer Mutter, noch nie zuvor auf dem Stadtberg gewesen. Damals hatte ihre Mutter versucht, für die Jungfräulichkeit ihrer Tochter einen besseren Preis herauszuschlagen, als er in ihrem kleinen Heimatdorf zu erzielen gewesen wäre. Kamala hatte schon in diesem zarten Alter überdeutlich gespürt, wie fehl am Platz sie dort waren, wie hoch und undurchdringlich die Kulturschranke war, die Bauern und Patrizier trennte, und wie jeder auf der anderen Seite sofort sah, dass sie und ihre Mutter die Schranke nicht überwunden hatten. Aus den Gesichtern der Männer schlug ihnen Verachtung entgegen, und sie wehrten das Ansinnen ihrer Mutter, mit dem Körper eines Bauernmädchens ihre Lust zu befriedigen, mit einem Widerwillen ab, als hätte sie ihnen bei einem Festmahl eine Platte mit verdorbenem Fleisch gereicht.
    Kamala hatte den ganzen Tag vor Angst und Scham gezittert, bis ihre Mutter endlich aufgegeben hatte und mit ihr in ihre baufällige Hütte im »Viertel« zurückgekehrt war. Dort hatte sie sich in ihr Versteck geflüchtet, ein feuchtes Loch unter einem der Holzstege über dem Brackwasser, gerade groß genug für ein Kind, und war erst wieder in die Welt zurückgekehrt, als der Hunger sie dazu zwang.
    Später hatte man ihren kostbarsten Schatz an einen dunkelhäutigen Reisenden aus den südlichen Reichen verhökert, der nach Moschus und Schweiß roch und es für sein gutes Recht hielt, mit jeder Körperöffnung eines jungen Mädchens seine Spiele zu treiben. Es hätte schlimmer kommen können. Manchmal wurden junge Mädchen bei der Entjungferung so tief gedemütigt, dass sie sich lieber ertränkten, als mit der Schmach weiterzuleben. Wobei Kamala sich immer wieder fragte, ob die Erlebnisse solcher Frauen wirklich so viel schlimmer gewesen waren, oder ob sie einfach nicht die Kraft hatten, sich nicht mit der gleichen Leidenschaft an das Leben klammerten, nicht zu allem bereit waren, um dem Tod zu entrinnen, und sich nicht

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