Die Seelenkriegerin - 3
die gleiche Weise zu ernähren wie ein Seelenfresser. Es war die einzige Möglichkeit für ihn, am Leben zu bleiben.
Mit der Zeit wurde er geistig so stabil, dass er zu anderen Menschen in Beziehung treten konnte, und schließlich gab er den Funken an einen anderen Hexer weiter. Zusammen mit all seinen Erinnerungen.« Colivar legte eine Pause ein. »Genau das Gleiche tun wir jedes Mal, wenn wir einen neuen Magister durch die Erste Translatio geleiten. Ohne diesen Funken kann kein Mensch die Transformation vollziehen. Oh, es hat im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Hexen und Hexer gegeben, die in ihrer Sterbestunde die Wahrheit errieten und nach der Lebensessenz von anderen greifen und sie stehlen wollten, um selbst weiterzuleben. Doch solche Versuche sind zum Scheitern verurteilt. Denn Wissen allein reicht nicht aus. Macht reicht nicht aus. Menschen sind unfähig, von ihresgleichen zu zehren.«
Er ließ diese Aussage und die erschreckende Betonung auf dem Wort »Menschen« kurz einsinken. Dann wandte er sich an Ramirus. »Du bist alt genug, um dich zu erinnern, wie es zu Anfang war. Wie das Heulen des Tieres unaufhörlich durch dein Bewusstsein schallte. Wie seine Wut in deinen Adern tobte. Wie der Hass auf die eigenen Artgenossen so stark war, dass er bisweilen alles menschliche Denken zu überwältigen drohte. Du erinnerst dich an die Angst, mit der wir damals lebten, die Angst, was geschehen würde, wenn wir auch nur eine Minute in unserer Wachsamkeit nachließen. An den ständigen Kampf, um das Tier in unserem Inneren einzusperren und weiterhin den Anschein aufrechtzuerhalten, wir seien Menschen.«
Ramirus nickte stumm.
»Das war der Seelenfresser in uns. Unsere zweite Natur, die ans Licht drängte. Selbst heute spüren wir noch seinen Hunger und werden von seinen Instinkten angetrieben … aber wir haben gelernt, den Dingen andere Namen zu geben. Wir erfinden Ausflüchte für sie, trösten uns mit immergleichen Mantras. Alle mächtigen Männer misstrauen einander. Die Zauberei erfordert eine skrupellose, unempfindliche Seele. Langlebigkeit stumpft das Gewissen ab. Wir suchen nach menschlichen Begründungen für das, was wir tun. Wir wollen nicht glauben, dass uns etwas antreibt, was weniger als menschlich ist. Dass wir selbst weniger als menschlich sind.«
»Ich erinnere mich«, sagte Ramirus leise.
»Deshalb ist unser Magistergesetz so wirksam. Weil es ein Produkt des menschlichen Intellekts und nicht des Ikati-Instinkts ist. Das gibt uns Auftrieb. Wenn wir denen dienen, die ganz und gar menschlich sind, können wir das Tier in uns besser im Zaum halten. Mit jeder menschlichen Geliebten, die wir uns nehmen, mit jedem königlichen Kontrakt, den wir eingehen, mit jeder Einschränkung, an die wir uns halten, wird die Welt der Morati sicherer; all das sind Investitionen in unser eigenes Menschsein. Ohne diese Dinge …«
Die Stimme drohte ihm zu versagen. Er schloss kurz die Augen. Ein kalter Wind fuhr ihm durch das lange schwarze Haar.
»Ohne diese Dinge sind wir verloren«, schloss er endlich. Jetzt war seine Stimme wieder frei von Emotionen.
Stille senkte sich über den Kreis. Colivar hielt die Augen geschlossen, er wagte nicht, die anderen anzusehen. Jahrhundertelang habe ich dieses Geheimnis allein mit mir herumgetragen , dachte er. Nun liegt die Last auch auf euren Schultern. Möge sie euch weniger drücken als mich.
»Wir sind also Seelenfresser«, fasste Lazaroth zusammen. Er ließ sich die Worte förmlich auf der Zunge zergehen.
Eine Bestätigung war nicht erforderlich.
»Können wir sie deshalb nicht ausfindig machen?«, fragte Sula.
Colivar nickte. »Sehr wahrscheinlich. Für unsere Magie sind sie keine eigene Art, sondern mit uns verwandt. Es könnte sogar sein, dass wir sie sehen, aber für Magister halten. Wenn ihr das bei der Suche berücksichtigt, habt ihr vielleicht mehr Erfolg.«
Immer vorausgesetzt, ihre Königin – und Siderea – lassen sich von euch finden …
»Die Büßer hatten also doch recht«, überlegte Ramirus.
Trotz seiner düsteren Stimmung zuckte ein spöttisches Lächeln über Colivars Gesicht. »Ja. Welche Ironie, nicht wahr? Salvator und sein Wahnsinnsglaube. All diese Geschichten von Verdammung und Verderbtheit, die oberflächlich betrachtet so albern erscheinen … er und seinesgleichen sind die Einzigen, die uns so sehen, wie wir wirklich sind. Verdorbene Seelen, keine Menschen mehr, Ungeheuer bis in ihre Lebensessenz hinein. Und unsere Verderbnis ist
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