Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
übersehen.
Du bist jetzt der Fürst , erinnerte er sich. Der Titel fühlte sich ungewohnt an wie eine schlecht sitzende Rüstung. Vielleicht würde er sich wohler damit fühlen, wenn er sich erst das Blut aus dem Haar gewaschen und die schwarzen Ränder unter den Fingernägeln entfernt hatte.
Die Herren der Stadt, die seine erste Säuberungsaktion überlebt hatten, beteuerten ihm ihre Loyalität nicht bloß mit Worten, sondern offerierten auch großzügige Geschenke. Einige überreichten kostbare Erbstücke, die von den Stämmen über Generationen in Ehren gehalten worden waren. Andere brachten seltene Essenzen, kostbaren Weihrauch und aromatische Gewürze. Wieder andere legten Nasaan mit Münzen prall gefüllte Hanfsäcke zu Füßen, eine schlichte, aber beredte Gabe. Natürlich suchten sie ihn alle zu bestechen. Wer ein hohes Amt bekleidete und die Eroberung mit heiler Haut überstanden hatte, war darauf bedacht, den Kopf auf den Schultern zu behalten. Wer weniger gefährdet war, suchte die Gunst des neuen Stadtoberhaupts zu gewinnen. Aber auch Stadtfremde entrichteten ihren Obolus: Kaufleute etwa, die regelmäßig in die Stadt kamen, Reisende, die auf ihre Gastfreundschaft angewiesen waren, oder Abgesandte von Stämmen, die zu verhindern suchten, dass Nasaan ihre Stammesgebiete auf seine Eroberungsliste setzte. Der neue Fürst würde die Hälfte aller Schätze für sich behalten und den Rest unter seine Männer verteilen, zum Lohn dafür, dass sie so tapfer gekämpft hatten. Und besonders dafür, dass sie sich hinterher zurückgehalten hatten. Die meisten Gebäude standen noch, und die meisten Frauen waren nicht geschändet worden. Dergleichen hatte seinen Preis.
Dann trat einer von Nasaans Kriegern in den heiligen Raum und sah sich nervös um. Viele von den Stammesleuten fühlten sich in Gegenwart so vieler Götter unwohl und bewunderten ihren Anführer unverhohlen für seinen unerschütterlichen Gleichmut.
»Ja?«, fragte Nasaan. »Was gibt es?«
»Eine Frau möchte Euch sprechen.« Der Mann zögerte. »Sie ist allein.«
Nasaan zog eine Augenbraue hoch. Die wenigen Frauen, die bisher zu ihm gekommen waren, hatten alle ein umfangreiches Gefolge mitgebracht. Wenn man sie zwang, das Haus der Götter ohne ihre Diener im Schlepptau zu betreten, hatten sie ihre Angst so gut wie möglich verborgen, aber Nasaan hatte sie riechen können. Würde dieser neue Fürst ihre Stellung respektieren, ihre Bündnisse, ihre Familien … oder würde er sie als Kriegsbeute betrachten? In Jezalya hatte so lange Frieden geherrscht, dass keine von ihnen eine solche Prozedur jemals erlebt hatte. Sie wussten nicht, was sie erwartete.
Doch diese Frau kam allein.
»Wer ist die große Unbekannte?«, fragte er.
»Sie wollte keinen Namen nennen.« Der Mann hielt inne. »Sie meinte, Ihr würdet sie erwarten.«
Nasaan lief es kalt den Rücken hinunter. Nur eine Frau hätte gute Gründe, sich auf diese Weise einzuführen … oder vielmehr ein Wesen, das keine Frau war. Würden die Götter zürnen, wenn eine Djira ihren heiligen Bezirk betrat? Oder wäre das bloß dann eine Kränkung, wenn sie sich anmaßte, selbst ein Gott zu sein?
Er holte tief Luft, um seinen flatternden Magen zu beruhigen, wartete, bis er sicher sein konnte, dass seine Stimme nicht verraten würde, wie unbehaglich er sich plötzlich fühlte, und befahl: »Schick sie herein.«
Sie sah jetzt mehr wie eine Frau aus als kürzlich auf dem Schlachtfeld, doch das konnte ihn nicht täuschen. Ihre Augen hatten die Farbe und die Form von Menschenaugen, und die Seidentücher lagen so reglos wie gewöhnliche Frauengewänder um ihren Leib, aber sie strahlte eine Macht aus, die den Raum wie kostbarer Weihrauch erfüllte. Ein süßlicher, berauschender Moschusduft. Er leckte sich den Geschmack von den Lippen und spürte seine Wirkung. Die Mischung aus Begehren und Angst stieg ihm zu Kopf.
»Du weißt, wer ich bin?«, fragte sie.
Djiri hatten, zumindest in ihrer natürlichen Gestalt, keinen Namen. Das waren Spielereien, mit denen sie sich nur abgaben, wenn sie für längere Zeit in einen menschlichen Körper schlüpften. Wollte sie ihn auf die Probe stellen, um zu sehen, wie gut er über ihresgleichen Bescheid wusste? Selbst aus den – nicht sehr zahlreichen – Legenden über diese Kreaturen konnte man kaum Rückschlüsse auf ihre wahren Motive ziehen. Jeder Djir war einmalig und vom Wesen her so wandelbar wie Wanderdünen in der Wüste. Nicht zuletzt das machte sie so
Weitere Kostenlose Bücher