Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
vergessenen Leben – einem Leben, das er mit aller Kraft zu vergessen versucht hatte …
Du schreist, schreist deinen Zorn hinein in die stürmische Dämmerung
Schwingen schlagen hektisch in der klirrenden Kälte
Hass liegt wie Eis auf der Zunge
Aus Stolz wird Kraft, aus Wut wird Energie, wo ist das Sonnenlicht?
Klauen zerreißen Eisluft und Fleisch
Heißes Blut schäumt wie Meeresgischt
Hass, Hass, Hass fliegt im Wind, zerfrisst das Denken
Wahnsinn
Schreie Schmerz Wahnsinn Angst Hunger
Du bittest die Götter, ein Ende zu machen
Du bittest die Götter, dich auszulöschen
Dies, dies ist der Preis für den Verrat an der Menschheit …
»Die Welt der Menschen hat dich nicht gut behandelt«, stellte Nyuku fest. »Du stinkst nach Schwäche.«
Colivar kämpfte mit zusammengebissenen Zähnen gegen die Flut der Erinnerungen an. Die Wunden in seiner Seele pochten gnadenlos. »Und du stinkst nach Anmaßung wie eh und je.«
Nyuku lachte leise. »Ist es anmaßend , den Sturz eines Rivalen zu feiern? Wenn ja, dann bekenne ich mich schuldig. Aber du … einen solchen Verlust zu überleben: keine geringe Leistung.« Die schwarzen Augen glitzerten kalt, Grausamkeit lauerte in ihren Tiefen. »Sag mir, wie fühlt es sich an, wenn ein Konjunkt getötet wird, während man auf ihm reitet? Wenn einem die halbe Seele weggerissen wird und man nichts dagegen tun kann? Diese Ohnmacht ist wohl mit nichts zu vergleichen.«
Plötzlich brach die Trauer um seinen Ikata so heftig über Colivar herein, als sei jener schreckliche Moment, der seine menschliche Identität in blutige Fetzen gerissen hatte, eben erst gewesen. Er wollte schreien wie ein verwundetes Tier, schreien wie einst in der Arktis: blinde Qual, abgrundtiefe Verzweiflung. Doch er ballte zitternd die Fäuste und rang innerlich um einen Rest von Fassung, während er nach außen hin so tat, als verliere er die Beherrschung. Er kniff kurz die Augen zusammen, als hätten ihn Nyukus Worte tief getroffen, gleichzeitig beschwor er die nötige Macht, um festzustellen, ob in seiner Umgebung irgendwelche Zauber wirksam waren. Das war nicht weiter schwierig, denn der ganze Raum war mit Magie gesättigt. Wände, Boden und Decke waren so mit Abwehrzaubern gesichert, dass Zauberei ihnen nichts anhaben konnte, und offenbar war auch die Luft im Raum mit Magie angereichert. Dies würde erklären, warum alle Läden fest geschlossen waren; frische Luft von draußen hätte die Wirkung beeinträchtigt. Colivar nahm sich nicht die Zeit, um die Waffen genauer zu inspizieren, aber er musste wohl davon ausgehen, dass auch sie von Magie durchdrungen waren. Vielleicht würden sie sogar auf Colivars Berührung ansprechen wie die Falle in Tefilat.
»Tu mir das nicht an«, flüsterte er und tränkte seine Stimme mit Schmerz, in der Hoffnung, Nyuku würde seine Demütigung so sehr genießen, dass er sich noch einen Augenblick zurückhielt und ihm ein paar kostbare Sekunden gewährte, um sich ein Bild von der Lage zu machen.
Mit Zauberei brauche ich es in diesem Raum gar nicht erst zu versuchen , dachte er verzweifelt. Und auch gegen Nyuku konnte er seine Kräfte nicht direkt einsetzen, ohne eine fatale Verbindung zum Ikata des Mannes zu riskieren. Nein, erkannte er mit sinkendem Mut, das Einzige, was er in diesem Raum verzaubern konnte, war sein eigener Körper, und die einzig sichere Waffe war sein eigener Verstand. Der war allerdings nicht zu verachten. Nyuku war im Grunde seines Herzens ein unwissender Barbar, der durch Kräfte, die sein Begriffsvermögen überstiegen, zur Macht gelangt war. Er mochte gelernt haben, die Rolle des kultivierten Adeligen zu spielen, aber er besaß nicht einmal so viel Bildung wie ein Bauer, um diese Rolle auch auszufüllen. Colivar dagegen war schon lange vor seiner ersten Begegnung mit den Ikati ein Hexer und Heiler gewesen und dadurch mit der Funktionsweise des menschlichen Körpers vertraut.
Dies war der einzige Vorteil, den er möglicherweise hatte.
Er würde sich damit begnügen müssen.
Langsam blickte er zu Nyuku auf. Er brauchte keine Zauberei, um die geballte Energie tief im Inneren des Mannes zu spüren oder den Zorn seines Ikata aus seinen Augen lodern zu sehen. Zwar mochte er Colivar vor Jahren die Führung über die Kolonie abgenommen haben, doch dass der Magister überlebt hatte, empfand er offensichtlich als persönliche Kränkung. Von ihm war keine Schonung zu erwarten.
»Erinnerst du dich noch an jenen Tag?« Nyuku säuselte so verführerisch wie ein
Weitere Kostenlose Bücher