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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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die Gefahr. Dann schlich der erste Hund heran, seitlich gehend, herüberschielend, mit offenen Lefzen, die Fänge blitzten weiß.
    Andrew wusste, dass dies der Anfang war. Alle wussten es. Die Luft vibrierte vor Erwartung. Andrew fragte sich, ob Gott jedem dieser Leute aus dem Publikum die Lust an diesem Spiel verzieh oder ob der Teufel hinter alldem steckte. Margaret und er hatten oft gestritten, nicht ernstlich, aber leidenschaftlich, ob Gott entfernt im Himmel war oder ganz nah im Herzen eines jeden Menschen.
    Der Bär brüllte jetzt, die Menschen schrien. Andrew schleppte seinen Eimer weiter. Er schämte sich. Er wusste nicht, warum, ob es das Mitleid für die Tiere war oder die Wut, dass keiner außer ihm erkannte, was eigentlich passierte. Es kam ihm manchmal vor, als ob er selbst der Mörder dieser Tiere sei.
    »Die Fässer und die Säcke in den Keller!«, befahl der Tierwart und winkte Andrew zu einem Ochsenkarren, der eben eingetroffen war.
    Es war frisches Bier in Fässern und ein Dutzend Säcke voller Brot und hartem Dörrfleisch. Man sah es an den Fliegen, die jeden Sack verfolgten.
    Die Fässer waren schwerer, als Andrew tragen konnte. Er benutzte einen kleinen, flachen Wagen mit vier hölzernen Rädern. Andrew schuftete verbissen, er wollte nichts mehr hören von den Kämpfen. Er machte Fäuste und biss die Zähne aufeinander, bis der große Ochsenkarren leer war.
    Margaret würde nachher kommen! Das war der Lichtblick dieses Tages. Sie würde zu Pferd über die Brücke kommen, natürlich nicht alleine: Raspale begleitete sie, der Hausnarr ihres Vaters, ein ehrlicher und freundlicher älterer Mann, der seltsam sprach. Margaret vertraute ihm, und Andrew war ihm dankbar, dass er die Tochter seines Brotherrn ohne dessen Wissen herbegleitete – ein hohes Risiko, denn Sir Thomas Morland war bekannt für seinen Jähzorn.
    Andrew kannte Margarets Vater nicht persönlich. Einmal hatte er ihn in der Stadt gesehen, bei einer Prozession, an deren Spitze Lords und Richter gingen. Sir Thomas war ein großer Mann, nicht nur von der gesellschaftlichen Stellung her. Seine Züge waren streng und stark, man sah ihm an, dass er sich notfalls in jeder Hinsicht wehren konnte. Andrew war der Prozession ein kleines Stück gefolgt, unauffällig, eben nur, um Margarets Vater zu betrachten, seinen Widersacher, der ihrem Glück so fest im Weg stand und wirklich übermächtig war.
     
     
    A LS A NDREW SPÄTER ZU den Stallungen ging, lagen schon ein paar zerrissene Hunde achtlos übereinander geworfen vor dem Scheunentor. Sie waren mausetot.
    Von der Arena her echote wildes Klatschen. Der Bär lebte also noch. Andrew schleppte Heuballen aus der Scheune zu den Ställen, als er im Augenwinkel sah, dass etwas sich bewegte. Einer der Hunde lebte noch! Andrew sah sich suchend um, ob der Tierwart oder ein anderer Stallknecht in der Nähe waren. Der Hof war leer. Andrew warf das Heu ab und starrte auf die Tiere, ihr blutverschmiertes Fell. Der oberste Hund atmete, die Augen blickten ängstlich. Andrew holte den flachen Wagen, noch zweifelnd, zögerlich. Einen verletzten Hund zu berühren konnte sehr gefährlich sein. Er ging näher heran. Vorsichtig zog er den Hund an seinen Hinterbeinen auf das Wägelchen und fuhr es in den Stall. Es gab genug Verstecke, dunkle Nischen, Winkel, in die niemand blickte. Andrew bedeckte den Hund mit Stroh, träufelte ihm Wasser auf die Schnauze und kehrte in den Hof zurück, wo er mit seiner Arbeit fortfuhr.
    Jetzt kamen Zweifel auf. Ihm wurde klar, wie sinnlos der Versuch war, diesem Hund zu helfen. Was konnte er denn für ihn tun? Wie sollte er ihm helfen? Wahrscheinlich würde der Hund sowieso nicht überleben. Und es war streng verboten, Kadaver aus den Arenen in die Stadt zu bringen. Aber wie schrecklich der Gedanke, dass der Hund zwischen den anderen toten Tieren dagelegen hätte und irgendwann gestorben wäre!
    Andrew hörte neuen Lärm von der Arena. Jetzt lag der Bär wohl schwer verletzt am Boden. Die letzten zwei, drei Hunde hatten ihn besiegt. Endlich war der Kampf vorbei. Andrew war verwundert, dass es ihm heute so zu Herzen ging. Nicht dass es ihm zuvor egal gewesen wäre. Aber dieses tiefe Mitleid war ihm fremd. Als hätte Gott es ihm ins Herz gelegt. In welcher Absicht bloß, wenn Tiere keine Menschenseele hatten?
    Er schlich sich in den Stall. Der Hund lebte noch. Andrew gab ihm wieder Wasser, berührte seinen Kopf. Dann ging er wieder an die Arbeit, warf Fleischabfälle in die

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