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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Stamm hoch. Er zog sie zu dem Schlehenbusch, wo er das Wägelchen versteckt hatte.
    »Ich muss dir etwas zeigen. Hab keine Angst! Sei leise, sonst erschreckst du ihn…«
    Margaret sah den Wagen im Gestrüpp, sie sah den Hund und machte sich von Andrew los, blieb stehen. Er ging näher heran und hockte sich.
    »Er ist schwer verletzt. Ich weiß nicht, ob er überlebt.«
    Margaret war bleich geworden.
    »Wie willst du ihm denn helfen?«, fragte sie. »Du kannst doch gar nichts tun.«
    »Wieso nicht?«
    »Willst du ihn mit in die Schule nehmen?«
    »Er atmet noch, er lebt, Margaret!« Andrew hatte eine Hand auf das Fell gelegt.
    »Wie willst du mit ihm über die Brücke kommen? Was werden die Wachen sagen?« Margaret ging näher heran. »Sie werden dich nicht durchlassen.«
    »Ich versuche es.« Andrew glaubte selber nicht, dass die Posten an den Brückentoren Verständnis zeigen würden. Vielleicht sagte er es nur, um Margaret ein Widerwort zu geben. Um sein Gewissen zu beruhigen, weil er in Bear Garden Geld verdiente und sie nichts ahnte.
    »Du arbeitest dort vorne in Bear Garden, stimmt’s?«, sagte sie, als hätte sie mit Leichtigkeit in seinen Kopf geschaut.
    Andrew nickte.
    »Ich habe mich immer gewundert, dass wir uns hier im Süden treffen«, sagte sie. »Wenn Raspale es erfährt, wird er mir verbieten, noch einmal herzukommen. Aber wahrscheinlich weiß er es genauso gut wie ich. Wir werden ihn jetzt dringend brauchen…«
    »Heißt das, du hilfst mir?«, rief Andrew. Er stand auf und sah sie an. Er liebte sie jetzt noch mehr als vorher, er fühlte es ganz deutlich. Dennoch traute er sich nicht, sie in den Arm zu nehmen. Er hatte Angst, dass sie sich erschreckte und ihn wegstieß. Irgendwann, so nahm er sich vor, würde er es schaffen, und es würde schöner sein als alles, was er je erlebt hatte.
     
     
    A LS R ASPALE WIEDERKAM , stand die Karre mit dem Hund schon auf dem Uferweg. Der Alte sah ihn aus der Ferne, ritt heran und betrachtete den Hund.
    Andrew wartete nervös.
    Margaret blickte Raspale aus großen, bittenden Augen an. Sie hielt ihren Fuchs am Zaumzeug und rieb ihm liebevoll das große, weiche Maul.
    »Ach ja«, sagte Raspale endlich. »Da haben wir zwei junge Leute, wie ich sehe, die der Meinung sind, auch Tiere hätten eine rettenswerte Seele. Und ich soll diese Sünde unterstützen.«
    Andrew senkte den Blick.
    »Raspale!«, eilte Margaret ihm zur Hilfe. »Du hast das größte Herz, das ich kenne. Wenn ich nicht wüsste, dass du mit jeder von Gottes Kreaturen Mitleid fühlst…«
    »Du und deine Redekunst!«, murmelte der Alte. »Und was sollen wir tun?«
    Noch bevor Andrew antworten konnte, stieg Raspale von dem Rappen, zog die Decke unter dem Sattel hervor und legte sie behutsam über den Hund, er stopfte die Ränder fest und schüttelte den Kopf.
    »Wir kommen alle ins Gefängnis, nach Newgate Prison, wo man uns verfaulen lassen wird. Ich war schon dort, das könnt ihr mir ruhig glauben. Ich habe Knochen holen müssen, ich weiß nicht, ob von Ochsen oder Menschen…«
    Margaret nahm seine Hand und küsste sie.
    »Nicht doch, Kind!« Er zog die Hand zurück. »Bestechlich bin ich obendrein, das weißt du doch.« Er stieg aufs Pferd. »Wir gehen! Es ist spät!«
    Vom Weg aus konnte man die alte, schwere Brücke sehen, wie eine Burg stand sie im Fluss. Die Bögen schimmerten bemoost, die Themse stürzte rauschend übers Wehr.
    Raspale ritt voraus. Andrew zog den Wagen. Es war mühsam, der Weg war löchrig, die Räder waren klein. Margaret ging hinter Andrew her und führte den Fuchs am Halfter.
    Die ersten Häuser von Southwark lagen rechter Hand. Das Brückentor kam immer näher. Andrew schwitzte vor Angst. Wenn es gelang, den Hund in die Stadt zu bringen, würde er ihn vorübergehend im Deadhouse verstecken, einer alten Ruine gleich hinter dem Konvikt der Schule. Von dort würde er auch einen Weg zum Schlangenkeller finden, dem Versteck der Jungen, wo das Tier, wenn Gott es wollte, weiterleben konnte.
    Sie standen vor dem Tor. Andrew hockte sich und fühlte unauffällig, ob der Hund noch lebte. Dann zog er das Wägelchen, dicht hinter Raspales Rappen, auf die Brückenrampe. Am Torhaus blieb der Alte stehen und holte ein Blatt Papier mit großem, rotem Siegel aus der Satteltasche. Die Wachen prüften es.
    Margaret flüsterte. »Es ist Vaters Siegel. Raspale trägt es immer bei sich, für alle Fälle.«
    Raspale wurde durchgewunken, Andrew folgte ihm. Seine Hände waren schweißnass. Auf dem

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