Die Seelenzauberin - 2
alle Türen offen stehen.«
Gwynofar zog eine Augenbraue hoch. »Ich kann mir lebhaft vorstellen, welche Art von ›Türen‹ sie im Auge hat.«
Salvator schmunzelte. »Und wennschon, was wäre so gefährlich daran? Sie ist zu alt, um Kinder zu gebären, damit stoßen ihre Verführungskünste an ihre Grenzen. Meine Königin kann sie nicht werden, und meine Konkubine will sie sicherlich nicht werden. Aber wenn sie glaubt, mich mit ihren Reizen manipulieren zu können, wird sie das Spiel so lange fortsetzen, wie sie sich damit Erfolg verspricht, und andere, weniger harmlose Aktivitäten unterlassen. Warum also ihre Hoffnungen vorzeitig zerstören?«
»Sie ist keine von den Huren deines Vaters«, bemerkte Gwynofar.
»Und ich bin nicht mehr der unschuldige Knabe, auf den er diese Huren ansetzte, Mutter.« Er gab Cresel die Liste zurück. »Gut gemacht. Ich bin mit den Namen einverstanden. Und ich werde mir auch Eure Bemerkungen zu allen standesgemäßen Jungfrauen ansehen; vielen Dank für Eure Mühe.« Er schob seinen Stuhl zurück und erhob sich. »Mutter, wärst du so freundlich, dich mit Meister Cresel um die Einladungen zu kümmern?«
Sie nickte. »Aber ja.«
Cresel wollte noch etwas sagen, nagte aber dann nur an seiner Unterlippe. Dieses Zögern war sonst nicht seine Art. Endlich rückte er mit der Sprache heraus. »Wünscht Ihr eine … äh … besondere Betreuung … im Anschluss an die Krönung, Sire?«
Salvator stutzte. »In welcher Form?«
»Ihr habt bekannt gegeben, dass Ihr Euren Gelübden nicht vor der Zeremonie entsagen wollt. Was bedeutet, dass Ihr unmittelbar im Anschluss daran … sagen wir, etwas zerstreut sein könntet. Das ist nicht ratsam für einen neuen König. Der erste Eindruck ist ungemein wichtig. Vielleicht sollten wir ein … sagen wir, privates Zwischenprogramm vorsehen.«
Salvator legte die Stirn in Falten. »Ich übe mich seit vier Jahren in Selbstbeherrschung, Meister Cresel. Haltet Ihr so wenig von meinen Fortschritten, dass so etwas nötig wäre? Was hätte mein Vater dazu gesagt?«
Gwynofar griff ein. »Dein Vater hätte gesagt, wenn ein Mann glaubt, vier Jahre Abstinenz einfach beiseiteschieben und gleich danach einen kühlen Kopf bewahren zu können, sei er von seinem eigenen Stolz geblendet.«
Salvator starrte sie an. Dann schmunzelte er wieder. »Mein Vater wusste zu wenig von meinem Glauben, um so zu argumentieren, Mutter. Aber ich verstehe deine Sorgen. Ich kann dir jedoch versichern, dass ich der Herausforderung durchaus gewachsen bin. Wenn tatsächlich ein Dämon der Wollust in mir wohnt, der glaubt, er könne hervorbrechen, sobald die Krone meinen Kopf berührt, dann steht ihm eine schwere Enttäuschung bevor.« Er überlegte kurz und fuhr dann fort: »Und was diese Aminestas angeht – richtet es doch nach Möglichkeit so ein, dass sie jemanden bestechen muss, um an ihre Einladung zu kommen. Ich möchte es ihr nicht zu leicht machen.«
»Ich werde entsprechende Hürden aufstellen lassen«, versprach der Schlossvogt.
Als Salvator den Raum verließ, konnte er förmlich spüren, wie viele Fragen nicht ausgesprochen und wie viele Argumente zurückgehalten worden waren. Und gewisse Bedenken waren nicht völlig unbegründet. Durfte er tatsächlich so sicher sein, dass er, ohne den Kopf zu verlieren, zusehen konnte, wie jede infrage kommende junge Frau im ganzen Reich an ihm vorbeidefilierte und dabei nach Kräften ihre Verführungskünste spielen ließ?
Es ist eine Prüfung des Geistes , beteuerte er sich trotzig. Ich muss mich ihr stellen, um gestärkt daraus hervorzugehen.
Dennoch verbrachte er an diesem Abend noch eine Stunde länger im Gebet. Nur zur Sicherheit.
Kapitel 7
Wenn Kamala hoch genug flog, konnte sie den Heiligen Zorn sehen.
Er hatte keine materielle Substanz, aber das mystische Zweite Gesicht, das sie in ihrer Jugend zur Wahrnehmung von Aethanus’ Zaubereien befähigt hatte, war offenbar empfänglich dafür. Dennoch war er nicht eigentlich sichtbar, sondern machte sich eher durch seinen Einfluss auf seine Umgebung bemerkbar: ein leichtes schwarzes Flimmern, das tief über dem Horizont in der Luft hing und die Berggipfel in Dunst hüllte; das Gefühl, alles sei verschwommen, obwohl sie mit ihren scharfen Habichtsaugen hätte klar sehen müssen.
Wenn sie den Heiligen Zorn lange genug anstarrte, konnte sie auch seine unheilvolle Macht spüren. Eisige Kälte kroch ihr über den Rücken und störte den Rhythmus ihrer Flügelschläge; mit einem Mal
Weitere Kostenlose Bücher