Die Seelenzauberin - 2
entstand in ihrem Herzen der Wunsch, eine andere Richtung zu nehmen, ganz gleich welche. Nachdem dieser Wunsch sich einmal festgesetzt hatte, fiel es ihr schwer, weiter nach Norden zu fliegen. Und wenn sie den Heiligen Zorn zu lange ansähe, könnte sie überhaupt nicht mehr fliegen.
Aber der Heilige Hüter namens Rhys ritt geradewegs nach Norden, und so folgte sie ihm.
Sie hatte die Spur des Mannes vor einem Versammlungshaus im Keirdwyn-Protektorat aufgenommen, wo er sich mit Dutzenden seiner Kameraden getroffen hatte. Er war nicht leicht zu finden gewesen, denn sie konnte sich nur auf eine flüchtige Erinnerung stützen, einen kurzen Moment vor Dantons Palast, nachdem der Seelenfresser sie vom Himmel gestoßen hatte. Damals waren ihr nur wenige Sekunden geblieben, um die Szene in ihrer ganzen surrealen Pracht zu erfassen: ein einzelner Krieger, der sich tapfer dem Kampf mit einem Mythenwesen stellte; ein weißbärtiger Magister, der sich damit begnügte, diesen Kampf zu beobachten, aber keinen Finger rührte, um zu helfen; und Magister Colivar, der wie betäubt etwas abseits stand, mit hängenden Armen, die Hände zu Fäusten geballt. Sie hatte, von der jähen Translatio noch völlig außer Atem, auf dem Boden gelegen und gerade so lange abgewartet, bis der Krieger seinen Speer in den Schädel des großen Ungeheuers rammte und die Erde unter dessen Todeszuckungen erbebte, dann war sie geflüchtet. Nur einen Augenblick später hätten die Magister sie mit Sicherheit gefunden … und deren Zorn fürchtete sie noch mehr als die Seelenfresser.
Nun war der Mann, der den Seelenfresser getötet hatte, mit einer Frau an seiner Seite auf dem Weg nach Norden. Kamala hatte vor dem Versammlungshaus ein paar Gesprächsfetzen aufgefangen – mit magischer Verstärkung konnte das Gehör eines Habichts genauso scharf sein wie seine Augen – und daraus genug über die Heiligen Hüter erfahren, um zu begreifen, warum er imstande gewesen war, das Ungeheuer zu besiegen. Wenn jemand wirklich wusste, was es mit den Seelenfressern auf sich hatte, dann diese ganz besonderen Krieger, die in der festen Überzeugung, vom Schicksal für den Kampf mit den Dämonenwesen bestimmt zu sein, tagaus, tagein dafür trainierten, studierten und meditierten. Und nun hatte dieser Mann als bisher Einziger des gesamten Ordens seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt.
Kamala folgte den beiden Hütern nun schon seit Tagen. Tagsüber schwebte sie hoch über ihnen, bis ihr die geborgten Flügel wehtaten. Am Abend suchte sie sich ein Versteck, wo die beiden sie nicht sehen konnten, und nahm ihre menschliche Gestalt wieder an. Jedes Mal musste sie sich mit aller Kraft dazu zwingen, wieder wie ein Mensch zu fühlen, bis sie irgendwann den Rausch des Fliegens aus ihrem Gedächtnis verdrängt hatte und in einen unruhigen Schlaf fiel. Viel zu früh ging dann die Sonne wieder auf, die beiden Krieger sattelten ihre Pferde, und die Reise begann von Neuem …
Wenn ein Mensch wusste, was die Seelenfresser vorhatten, dann musste es dieser Rhys nas Keirdwyn sein.
Wäre er allein gewesen, so hätte sie sich direkt an ihn gewandt, aber das war nicht der Fall. Und aus Gründen, die Kamala selbst nicht ganz verstand, war ihr die Frau an seiner Seite nicht geheuer. Das wäre wahrscheinlich anders gewesen, wenn sie ein elegantes Reitkleid mit langen Seidenröcken getragen und im Damensitz auf ihrem Pferd gesessen hätte. Eine solche Frau hätte Kamala voller Verachtung wie ein Stück Reisegepäck behandelt, auf das es nicht weiter ankam. Aber die Begleiterin des Hüters war im wahrsten Sinn des Wortes ein Waffenbruder. Und das störte sie.
Warum?
Du bist eifersüchtig , dachte sie.
Was für ein absurder Gedanke! Eifersüchtig auf eine Morata?
Eifersüchtig auf die Art, wie er sie anerkennt.
Die Frau trug Männerkleidung, aber nicht so, dass diese ihr wahres Geschlecht verborgen hätte. Sie hatte mit den Männern vor dem Versammlungshaus nicht kokettiert, wie es normale Frauen zu tun pflegten, aber Kamala hätte gewettet, dass die anderen Hüter sich des Geschlechtsunterschiedes und der damit verbundenen Möglichkeiten durchaus bewusst waren. Dennoch hielten sie alle von sich aus respektvoll Abstand. Manchmal machte der eine oder der andere eine scherzhafte Bemerkung über ihre Wirkung auf sie alle, doch selbst dann lachte man mit ihr und nicht über sie.
Wahre Anerkennung.
Sie konnte es kaum mit ansehen. Wieso? Weil diese Kriegerin so angenommen wurde, wie sie
Weitere Kostenlose Bücher