Die Seelenzauberin - 2
war ebenso übermächtig wie ihr eigener Hunger nach Leben. »Ein Unterpfand. Eine Prüfung. Um unseren Handel zu besiegeln.«
»Nämlich?«
»Soviel ich weiß, wollt Ihr doch an den Krönungsfeierlichkeiten des neuen Großkönigs teilnehmen. Macht Euch im Palast bemerkbar. Erwerbt Euch des Königs Gunst. Das sollte jemandem wie Euch nicht weiter schwerfallen. Es könnte sein, dass wir für unsere Pläne Einfluss auf seinen Hof benötigen. Den könntet Ihr uns verschaffen.«
Aber das ist nur ein untergeordnetes Ziel , dachte sie. Was dich antreibt, ist viel schlichter, dir geht es nicht um die Zivilisation oder um höfische Politik, sondern um etwas viel Primitiveres. »Und in welche Richtung wollt Ihr ihn beeinflussen?«
»Fürs Erste?« Er lachte leise. »Er soll seinem Glauben treu bleiben. Er soll sich so blind auf Sankaras Freundschaft verlassen, dass er nicht allzu genau in diese Richtung schaut. Und er soll den vielen Magistern misstrauen, die um seine Gunst wetteifern werden. Ich nehme an, dass Euch vor allem Letzteres nicht schwerfallen wird?«
Nun lächelte auch sie. »Nein. Ganz bestimmt nicht.«
»Später wird man Euch sicherlich handfestere Aufgaben übertragen. Zunächst genügt es, wenn Ihr einfach die Grundlagen dafür schafft, dass er Eurem Rat vertraut und dass Eure Worte auch in Zukunft Gewicht für ihn haben.« Er zog eine schwarze Augenbraue hoch. »Sind wir also handelseins, edle Königin?«
Tief in ihrem Inneren mahnte ein leises Stimmchen zur Vorsicht. Gab zu bedenken, dass Sankaras Wohl durch einen solchen Plan nicht unbedingt gefördert würde. Die Freien Lande brauchten einen Krieg oder zumindest die Aussicht auf einen Krieg, um einig zu bleiben. Ein friedfertiger, glücklicher Großkönig wäre für sie nicht unbedingt von Vorteil.
Aber wenn auch nur entfernt die Möglichkeit bestand, dass dieser Mann sein Versprechen hielt, wie könnte sie ihn dann abweisen?
Er verlangt nicht mehr, als was ich ohnehin tun würde. Die Schwächen dieses neuen Königs ergründen, auf ihm spielen wie auf einem Instrument, ihn um den Finger wickeln. Wenn nicht, um politischen Einfluss zu erlangen, dann schon allein zum Spaß. Wie oft schicken einem die Götter einen Mönch als Spielzeug? Und wenn dieser Fremde und seine Verbündeten wiederkommen und mehr verlangen – nun, bis dahin werde ich genauer wissen, was für ein Spiel sie spielen. Wer weiß? Vielleicht können wir dann neu verhandeln.
»Ja«, sagte sie leise. »Abgemacht.«
Das Stimmchen in ihrer Seele sagte nichts mehr.
Kapitel 6
Salvator stand vor dem Spiegel, nicht vor einem der magischen Werkzeuge seines Vaters, sondern vor einer schlichten Metallplatte in einem hohen Holzrahmen. Der Spiegel gab kein vollkommen wirklichkeitsgetreues Bild wieder, sondern ließ seine Gestalt noch hagerer wirken und verzerrte seine kantigen Züge ein wenig. Ihn störte das, ganz im Gegensatz zu seiner Mutter, natürlich nicht.
Was ihn jedoch störte, war die Stola, die er um den Hals trug. Der lange bestickte Tuchstreifen hing ihm zu beiden Seiten vor seiner Kutte über die Brust. Das Trägermaterial war in so vielen Schichten bestickt und mit so vielen Edelsteinen besetzt, dass der Stoff darunter nicht mehr zu erkennen war. Natürlich war es nicht das, woran er Anstoß nahm. Jedenfalls nicht am meisten .
Mit einem Seufzer nahm er die Stola ab und reichte sie Gwynofar. »Tut mir leid, Mutter. Es geht nicht.«
»Sie gehört zu den Krönungsregalien«, gab sie leise zu bedenken.
»Das ist mir klar.«
»Sie steht für die Geschichte deiner Familie«, erklärte Gwynofar mit Nachdruck. »Dein Erbe.«
»Noch einmal, es tut mir leid. Aber ich kann sie nicht tragen.«
Sie stieß enttäuscht den Atem aus. »Alle Aurelius-Könige haben die Stola bei ihrer Krönung getragen, seit der erste sich einst die Krone aufsetzte. Jeder hat seine eigenen Symbole hinzugefügt. Zum Zeichen dessen, was er geleistet hatte. Hier …« Sie wies auf einen besonders dicht bestickten Abschnitt an einem Ende. »… sind alle Triumphe deines Vaters verewigt. Die Siege, die das Großkönigtum erst entstehen ließen. Ohne sie hättest du kein Reich, über das du herrschen könntest.«
»Das ist mir alles klar, Mutter.« Es klang unendlich geduldig. »Aber wir müssen einen anderen Weg finden, um Vaters Werk zu ehren.«
»Ich habe alle religiösen Symbole entfernen lassen«, sagte sie, immer noch ohne nach der Stola zu greifen. »Das weißt du doch? Nirgendwo wird mehr ein
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