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Die Seelenzauberin

Die Seelenzauberin

Titel: Die Seelenzauberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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Beine zitterten so heftig, dass Rhys sie auffangen musste, als sie drinnen landete. Vermutlich stürmten all die Ängste der vergangenen Stunden auf sie ein. Aber das war nicht weiter schlimm. Sie hatte den Aufstieg gut bewältigt, und das war entscheidend. Wenn Schwierigkeiten auftauchten, waren dafür die Krieger zuständig.
    Die Männer ordneten rasch ihre Ausrüstung und vergewisserten sich, dass alle Waffen griffbereit waren. Dabei gingen sie so rasch und leise vor, wie sie nur konnten, aber in der Enge des Turms schien jeder Laut ein Echo zu erzeugen, und falls sich noch jemand hier aufhielt, war es kaum vorstellbar, dass er sie nicht hören sollte.
    Das Innere des Turms entsprach mehr oder weniger Kamalas Beschreibung. In den gewachsenen Fels war eine riesige Wendeltreppe gehauen worden, die zwei Männern nebeneinander Platz zum Hinaufsteigen bot, aber für einen Kampf unbequem eng wäre. Ullars Männer waren von den Bedingungen nicht angetan, aber sie hatten ihre Waffen danach ausgewählt und waren bereit, sich notfalls jede einzelne Stufe zu erkämpfen. Hoffentlich kam ihnen von oben niemand entgegen. Später, auf dem Rückweg … aber daran wollte jetzt noch niemand denken. Es war zweifelhaft genug, ob sie diesen Thron überhaupt finden und seine Geheimnisse lüften konnten, ohne von den Bewohnern dabei ertappt zu werden. Durften sie auch noch hoffen, unbehelligt davonzukommen?
    Bleib bei Gwynofar, sobald wir den Thron erreichen , hatte Rhys zu Kamala gesagt. Damit du siehst, was sie sieht, erfährst, was sie erfährt, und dir alles einprägen kannst, was mit ihr geschieht. Es könnte sein, dass du dieses Wissen nach Keirdwyn zurückbringen musst, damit andere es verwenden können.
    Wo blieb Kamala bloß? Sie hätte sich längst zurückmelden müssen, und sei es nur, um zu bestätigen, dass die oberen Stockwerke immer noch leer waren. Sie hatte ihnen zwar »freie Bahn« signalisiert, bevor sie mit dem Aufstieg begannen, aber er hätte doch gerne noch einmal eine Bestätigung erhalten. Schließlich hing von diesem Umstand sehr viel ab.
    Er betrachtete die schwer bewaffneten, zu allem entschlossenen Männer und dachte: Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Eine Auseinandersetzung auf dieser Treppe wäre sicherlich brutal, aber Ullars Männer schienen dafür nicht nur bereit zu sein, sondern sie kaum erwarten zu können. Sie waren nicht dafür ausgebildet worden, stundenlang an der Außenwand eines Monolithen zu hängen und zu warten, ob ein Ungeheuer auftauchte und sie herunterpflückte. Die Heiligen Hüter dagegen … nun, sie hatten genau dafür trainiert, und Rhys war sicher, dass sie sich – selbst an Seilen hängend – verdammt gut geschlagen hätten, wenn tatsächlich ein Seelenfresser erschienen wäre.
    Als sie sich für die nächste Phase in zwei Gruppen aufteilten, sah er, dass einer der Hüter stumm die Lippen bewegte. Wahrscheinlich betete er. Rhys’ Magen wurde hart wie Stein, und er musste sich eisern beherrschen, um dem Mann nicht zu sagen, sein Vertrauen sei verfehlt. Den Göttern war dieser Kampf ohnehin gleichgültig. Keiner von ihnen würde einen metaphysischen Finger rühren, wenn der Feind über die Eindringlinge herfiele.
    Ihr Glaube verleiht ihnen Kraft , ermahnte er sich schroff. Nimm ihnen die Illusion, und du raubst ihnen diese Kraft.
    Wie er sie um ihre Unwissenheit beneidete!
    Sie stiegen rasch die Treppe hinauf, vier Mann voraus, vier Mann hinterher. Rhys blieb dicht an Gwynofars Seite, um ihr zu helfen, wenn es nötig wäre. Sie bemühte sich tapfer, mit den Männern Schritt zu halten, und zeigte weder Müdigkeit noch Angst. Mehr noch, wenn einer der Soldaten sich nach ihr umsah, lächelte sie ihn mit so viel strahlender Zuversicht an, dass Rhys förmlich sehen konnte, wie auch der Mann neuen Mut fasste. Das war immer ihre Stärke gewesen, dachte er – anderen Kraft zu geben –, und diese Fähigkeit war noch nie so wertvoll gewesen wie an diesem Tag.
    Sie hatten soeben die zweite Treppenwindung hinter sich gebracht und kamen an einem weiteren Fensterschlitz mit zackigen Rändern vorüber, als sie plötzlich Flügelschläge hörten und innehielten.
    Kamala.
    Sie sagte zunächst gar nichts. Und damit war alles gesagt. Wieder verkrampfte sich Rhys’ Magen, und er musste all seine Kraft zusammennehmen, um mit fester Stimme zu fragen: »Wie viele sind es?«
    »Sechs konnte ich sehen«, krächzte der Vogel. Kaum mehr als ein Flüstern, aber die Worte waren so wichtig, dass niemand sie

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