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Die Seelenzauberin

Die Seelenzauberin

Titel: Die Seelenzauberin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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wirklich war? Weil sie nicht in irgendeine Rolle zu schlüpfen brauchte, um die Gunst der Männer zu gewinnen? Weil sie nicht vorgeben musste, nicht in jeder Beziehung weiblich zu sein, um sich ihre Achtung zu verdienen?
    Wenn die Magister nur halb so tolerant wären, dachte Kamala, wäre sie in einer ganz anderen Position. Und nachts in ihren unruhigen Träumen stellte sie sich vor, wie ihr Leben dann ausgesehen hätte. Sie wäre ein Mitglied dieser Bruderschaft geworden, ohne ihr Geschlecht verleugnen zu müssen. Aufgenommen ohne Vorbehalte.
    Sie hielt Abstand von den beiden.

    Kurz vor Sonnenuntergang hatten Rhys und Namanti den Kamm der Branwyn-Kette erreicht. Sie waren den ganzen Tag stramm geritten, und die Pferde waren nicht allzu begeistert davon, nach so vielen anstrengenden Stunden noch einen Steilhang hinaufgetrieben zu werden. Namentlich Namantis Wallach, ein kräftiges, in Skandir gezogenes Tier mit dichtem Fesselbehang, protestierte jedes Mal, wenn sie ihm die Sporen gab, mit lautem Wiehern. Den beiden mit Reisevorräten beladenen Packpferden dahinter fiel der Anstieg ebenso schwer, aber sie ertrugen ihn mit stoischer Ruhe.
    Ein Stück weiter nördlich sollte es einen Pass geben, aber keiner von beiden machte den Vorschlag, vor Einbruch der Dunkelheit noch so weit zu reiten. Sie näherten sich unaufhaltsam dem Heiligen Zorn der Götter und würden womöglich schon auf den nächsten Meilen unter seinen Einfluss geraten. Kein vernünftiger Mensch würde sich auch nur eine Minute länger als unbedingt nötig in dieser unheimlichen Gegend aufhalten. Ganz zu schweigen davon, dass Tiere den Zorn oft noch vor den Menschen witterten; Pferde scheuten manchmal schon beim ersten Anflug und ergriffen in kopfloser Panik vor dem unsichtbaren, namenlosen Feind die Flucht. An einem Ort wie diesem, wo selbst für ruhige Pferde jeder Schritt gefährlich war, konnte ein solches Verhalten zu schweren Stürzen oder gar zum Tode führen.
    Genau das hatten die Götter gewollt, dachte Rhys finster.
    Ein Mensch konnte dagegen dem uralten Fluch mit seiner Selbstbeherrschung begegnen und vielleicht eine Weile standhalten. Das gelang nicht allen gleich gut. Einige Auserwählte wie Rhys konnten bis auf Sichtweite an die Speere herangehen, bevor der Druck unerträglich wurde. Wenn jemand noch näher treten wollte, musste er sich gewöhnlich erst ordentlich Mut antrinken, um sich überhaupt in Bewegung zu setzen, und nach der Rückkehr brauchte er das doppelte Quantum, um zu vergessen, was er gesehen hatte. Für öffentliche Rituale holte man bisweilen eine Handvoll Magister, und die dämpften die Macht des Fluches, damit die heimischen Lyr -Herrscher im Schatten der Speere ihre Dankgebete sprechen konnten, ohne dem Wahnsinn zu verfallen. Doch das war bestenfalls ein Notbehelf, und jeder Anwesende konnte deutlich sehen, dass die Magister den Heiligen Zorn hassten und lieber an jedem anderen Punkt der Welt gewesen wären als im Einflussbereich seiner Macht.
    Rhys erinnerte sich an einen Tag vor nicht allzu langer Zeit, als er einem Speer so nahe gekommen war, dass er ihn ohne Hilfe berühren konnte. Schon dass er an dieses Ereignis denken konnte, ohne zu erschauern, war ein Zeichen dafür, wie schwach der Zorn geworden war.
    Wenn seine Macht schwindet, kann er uns nicht länger schützen.
    Inzwischen begann es zu dämmern, und die Gebirgslandschaft vor ihnen bot einen furchterregenden Anblick. Milchig trübe Schatten krochen wie Geisterfinger gen Osten. Hier und da traf ein flacher Lichtstrahl auf die obere Kante einer Granitklippe oder die Spitze eines vom Wind zurechtgeschliffenen Felsturms und schien dort ein loderndes Feuer zu entfachen. Augenblicke später verschwand der Eindruck so schnell, wie er entstanden war, die Dämmerung überzog die Gipfel, und die Nacht senkte sich herab wie ein tiefschwarzer Schatten.
    »Du wolltest heute Abend hier oben sein. Warum?« Namanti trieb ihr unruhiges Pferd so dicht an Rhys’ Seite, wie sie es wagen konnte. Der stämmige Wallach war als Schlachtross ausgebildet und hätte notfalls dem Ansturm einer ganzen Reiterhorde standgehalten, aber der Heilige Zorn weckte Ängste ganz anderer Art in dem Tier. »Erkläre es mir noch einmal.«
    Rhys spähte in die Ferne und suchte nach einer Bewegung. Irgendeiner Bewegung. Sie waren dem Heiligen Zorn inzwischen so nahe, dass Tiere sich hier nur ungern ansiedelten, und das bedeutete, dass in diesen Schatten ausschließlich Lebewesen umherstreiften, die

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