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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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Ordnung mit dir, Genossin?«
    Zu Lydias großer Überraschung klang die Stimme vollkommen ruhig und gänzlich gefasst.
    »Da« , sagte Lydia. »Ja.«
    »Du warst lange da drin.«
    »Wirklich?«
    »Hast du geweint?«
    »Nein.«
    Die Frau hielt den Unterarm ins Becken, tauchte ihn in das Seifenwasser und stieß ein lang gezogenes »Ah!« aus.
    Lydia war sich nicht sicher, ob aus Wohlbefinden oder Schmerz. Als die Frau kurz in ihre Richtung blickte, sah sie zum ersten Mal ihre Augen. Sie waren dunkelbraun, lagen tief in den Höhlen und ähnelten überhaupt nicht denen von Valentina. Die Haut der Frau war bleich, als verbringe sie ihr ganzes Leben in geschlossenen Räumen.
    »Starr mich nicht so an«, sagte die Frau barsch.
    Lydia blinzelte und lehnte sich mit dem Rücken an das Waschbecken. »Wir alle«, sagte sie und zog den Mantel fest über ihrer Brust zusammen, denn es war kühl in dem Waschraum, »tun diese Dinge. Um uns besser zu fühlen, meine ich.«
    »Zum Beispiel, sich im Klo einzuschließen?«
    »Nein. Das nicht.«
    »Aha.« Jetzt richteten sich die forschenden Augen wieder auf Lydia. »Na gut. Was macht denn ein junges Mädchen wie du, um sich besser zu fühlen?«
    »Ich stehle.« Eigentlich hatte Lydia das gar nicht sagen wollen. Sie war entsetzt darüber, dass ihr die Worte einfach herausgerutscht waren. Bestimmt hatte das mit der unwirklich frühen Stunde zu tun.
    Eine dunkle, geschwungene Augenbraue zuckte nach oben. »Warum?«
    Lydia hob die Schultern. Es war zu spät, das Gesagte zurückzunehmen. »Das Übliche. Meine Mutter und ich waren arm, und wir brauchten das Geld.«
    »Und jetzt?«
    Wieder zuckte Lydia mit den Achseln, eine Geste, von der ihr Bruder immer behauptete, sie wirke unbedarft. Hatte er Recht? Wirkte sie wirklich so? Sie blickte nachdenklich auf die sauberen Pantoffeln.
    »Wurde es dir einfach zur Gewohnheit?«, fragte die Frau.
    »So kann man es sagen, ja.« Lydia sah auf und bemerkte, wie der Blick der Frau aufmerksam auf ihr ruhte und schließlich wie schuldbewusst von Lydias glatten, blassen Händen zu ihren eigenen aufgescheuerten wanderte. Im Spiegel beobachtete sie, wie tief in den dunklen Augen ein Zögern aufblitzte, als würde sich irgendwo ein Spalt auftun. Lydia lächelte ihr zu. Zu dieser unmenschlich frühen Zeit schienen die normalen Benimmregeln irgendwie außer Kraft gesetzt zu sein. Die Frau erwiderte das Lächeln, hob den Arm aus dem Wasser und wies auf eine schicke Ledertasche, die auf der Fensterbank stand.
    »Nur zu, bestiehl mich, wenn du dich dann besser fühlst«, bot sie an.
    »Führe mich nicht in Versuchung«, erwiderte Lydia lächelnd.
    Die Frau lachte und griff nach dem blütenweißen Handtuch, das über ihrer Schulter hing, doch dabei zog sie zu fest und ließ das Stoffstück zu Boden fallen. Lydia sah, wie das bleiche Gesicht vor Panik in sich zusammenfiel.
    »Das ist schon in Ordnung«, versicherte sie der Frau schnell und bückte sich, um das Handtuch aufzuheben. »Der Boden ist sauber. Er ist gerade erst gewischt worden.«
    »Ich weiß. Ich hab ihn geputzt. Ich habe alles geputzt.«
    Lydias Ton war beschwichtigend, so, wie sie früher mit ihrem Kaninchen gesprochen hatte, wenn es nervös war. »Mach dir keine Gedanken, Genossin, alles in Ordnung. Du kannst doch die andere Seite des Handtuchs benutzen, die Seite, die den Boden nicht berührt hat.«
    »Auf keinen Fall!«
    »Da drüben an der Wand hängt ein Handtuch vom Hotel.«
    »Nein. Dieses … dieses Ding kann ich nicht anfassen.« Das Wort »Ding« sagte die Frau, als wäre es mit ekelhaftem Schleim bedeckt.
    »Hast du denn noch ein anderes?«
    Die Frau nickte und zeigte auf ihre Tasche. Lydia ging darauf zu und holte ein kleines, in Papier gewickeltes Päckchen heraus, aus dem ein weiteres blütenweißes Handtuch zum Vorschein kam, als sie die Verpackung öffnete. Ohne den Stoff irgendwo zu berühren, hielt sie es der Frau hin, achtete aber darauf, sich auf Armlänge von ihr entfernt zu halten. Näher durfte sie ihr auf keinen Fall kommen, das wusste sie, denn das wäre zu nah gewesen. Für sie beide.
    »Danke schön. Spassibo .« Die Frau begann sich sorgfältig ihre tropfenden Arme abzutupfen, und Lydia bemerkte die vielen haarfeinen Risse in ihrer Haut.
    »Du musst sie eincremen«, sagte sie beiläufig.
    »Ich habe Handschuhe.«
    Die Frau ging zu ihrer Ledertasche hinüber und holte ganz vorsichtig, nur zwischen Zeigefinger und Daumen, ein Paar lange, weiße Baumwollhandschuhe hervor. Sie

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