Die Sehnsucht der Konkubine
er sie an. »Ich möchte dich gerne an meiner Seite haben. Mit Maxims Unterstützung werde ich einer der wory bleiben und mich ganz allmählich hocharbeiten, so dass ich …«
»Wenn Maxim stirbt, wirst du bereit sein, die Macht zu übernehmen. Mein lieber Bruder, du bist nichts anderes als ehrgeizig.«
Er nickte nicht, doch sie sah das Glänzen in seinen Augen und erkannte den Kitzel, der ihn offenbar erfasste. Er war kein Mann, der ein Leben in Konformität mit Stalins Zwangsjackensystem führen konnte, aber sie nahm bereits jetzt Veränderungen an ihm wahr, die ihr Angst machten. Wie viel von dem, was sie am meisten an ihm liebte, würde verschwinden, wenn er sein Leben mit diesen Dieben verbrachte? Es war eine Ironie. Früher war sie diejenige gewesen, die stahl und Gefängnis riskierte, nicht er.
»Oder«, schlug sie vor, »du könntest mit mir nach China zurückkehren.«
Er blickte sie stirnrunzelnd an. »Nein. Ich werde Russland nicht verlassen.«
Hielt er sie folglich für eine Verräterin? War es das, was er meinte?
»Was hast du denn nun für mich?«, fragte sie.
Er blickte forschend in ihr Gesicht, als suchte er nach etwas, stand dann auf und nahm ein paar Papiere aus einem Aktenschrank.
»Hier, neue Ausweispapiere.«
Ihr Herz schlug heftig. »Das war schnell.«
»Ein Geschenk von Maxim.«
»Danke ihm in meinem Namen.«
»Das werde ich.« Er schaute sie an. »Ein letztes Mal, kleine Schwester. Gib ihn auf. Am Ende werdet ihr euch gegenseitig unglücklich machen.«
»Ich kann nicht. Ebenso wenig, wie ich aufhören kann zu atmen.«
»Na gut.« Er hielt ihr ein Päckchen hin. »Hier ist ein Formular mit Dmitris Stempel darauf, das es dir ermöglicht, frei zu reisen und Fahrkarten zu kaufen. Und genügend Rubel – von Antonina –, damit du nach China kommst.«
Sie nahm alles entgegen. Ihre Hand zitterte, und sie blinzelte ein paar Tränen weg. »Was kann ich sagen, Alexej? Du bist der Bruder, den ich mir immer gewünscht habe.«
Er lächelte verlegen. Ihre Worte schienen seinen Selbstschutz zu durchbrechen.
»Und ich hab auch was für dich«, fügte sie hinzu. »Ich hoffe, es wird dir gefallen.« Aus ihrer Tasche zog sie ein gefaltetes Blatt Papier und reichte es ihm.
Er klappte es auf. »Es ist eine von Jens’ Nachrichten.«
Es war diejenige, in der Alexej erwähnt wurde. »Für dich, wenn du möchtest.«
Alexej nickte und wandte sich rasch ab, doch sie sah trotzdem die widersprüchlichen Gefühle, die über sein Gesicht huschten und ihn ganz jung und verletzlich aussehen ließen. Sorgfältig faltete er den Brief wieder zusammen und hielt ihn in der Hand.
In diesem Moment kam Antonina mit einem Tablett herein. Während Lydia den starken Kaffee trank und eines der warmen Hörnchen aß, machte sich Antonina mit einer Schere an ihrem verunstalteten Haar zu schaffen, um wenigstens etwas von dem Schaden wiedergutzumachen. Lydia kam der Gedanke, dass das etwas war, in dem Antonina wahrscheinlich immer gut sein würde. Sie beobachtete, wie Alexej sich nicht die geringste Kleinigkeit in Antoninas Mienenspiel entgehen ließ, und hatte auf einmal die starke Hoffnung, dass die beiden einander guttun würden. Hinterher führte Antonina sie ins Schlafzimmer, wo eine ganze Reihe Kleider, Schuhe und Nerzstolen auf dem Bett verteilt lagen.
»Nimm dir alles, was du möchtest.« Antonina winkte gleichgültig mit der Hand in Richtung Bett und zu einer samtbezogenen Schachtel, die auf der Frisierkommode stand.
Selbst von ihrem Platz an der Tür aus konnte Lydia erkennen, dass in der Schachtel lauter Schmuck war. Unfähig, sich zu bremsen, ging sie wie magisch angezogen darauf zu, schwelgte in dem Glitzern der Diamanten und dem weichen, buttergelben Schimmer des Goldes, doch sie berührte nichts. Vielleicht bekäme sie ihre Finger nicht mehr unter Kontrolle, wenn sie es getan hätte.
»Danke«, sagte sie. »Für die Rubel und jetzt auch für dieses Angebot. Du bist sehr großzügig. Doch ich brauche nichts mehr.«
»Wir verkaufen sowieso alles. Werden es über Maxim los. Bist du sicher?«
»Ja, ich bin mir sicher.«
»Keine Lust auf Blutgeld, stimmt’s?«
»Etwas in der Art, ja.«
»Ich kann es dir nicht zum Vorwurf machen.« Antonina küsste Lydia auf die Wange. »Dann lass mich dich wenigstens zum Bahnhof fahren.«
Lydia stieg aus der schnittigen Limousine aus. Der Bahnhof war mit Reisenden, Koffern und Gepäckwagen überfüllt, die alle um Platz kämpften, doch sie achtete kaum darauf. Das
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