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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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schaute sie rasch zu dem Treppenabsatz hoch. Er verlief über zwei Seiten des Raumes hinweg und führte zu dem Flur, an dem die schuhkartongroßen Räumlichkeiten lagen, die man hier Hotelzimmer nannte. Dort oben stand ein großer Mann über die Brüstung gebeugt und blickte aufmerksam auf das Durcheinander unter ihm. Die Arme hatte er auf das Geländer gelegt und die Daumen verschränkt, als könnte er den Gedanken nicht ertragen, mit den Händen die klebrige Oberfläche zu berühren.
    Alexej Serow. Ihr Halbbruder.
    Sie hatten einen gemeinsamen Vater, wenn man denn von »gemeinsam« sprechen konnte. Was Lydia bezweifelte.
    Sein braunes Haar hatte Alexej aus dem Gesicht gestrichen, wodurch seine hochmütige Stirn, die er von seiner adligen russischen Mutter, der Gräfin Serowa, geerbt hatte, besonders zur Geltung kam. Die stechend grünen Augen jedoch hatte er von seinem Vater, einem Abkömmling der alten Wikinger, an den sich Lydia nur noch schwach erinnern konnte. Jens Friis hatte er geheißen, ein dänischer Nachname, den keiner von ihnen mehr trug. Jens hatte bis 1917 als Ingenieur im Dienste des letzten russischen Zaren Nikolaus II . gestanden und war nun, mehr als zwölf Jahre später, der Grund dafür, dass sie und Alexej, mit dem ungebärdigen Popkow im Schlepptau, monatelang auf Reisen gewesen waren, durch das gebirgige China bis zu diesem gottverlassenen Rattenloch in Russland.
    Ein lauter Schrei lenkte ihre Aufmerksamkeit zum Geschehen zurück, und ein flaues Gefühl der Panik machte sich in ihrer Magengrube breit. Popkow war dabei zu verlieren. Nicht nur zum Schein. Er verlor wirklich.
    Ihr wurde übel. Münzen regneten auf das schmierige grüne Taschentuch, das für die Wetteinsätze auf dem Tresen bereitlag, und mittlerweile standen alle Wetten gegen Popkow. Zwar hatten sie es so geplant, aber sie hatte ihm zu spät das Signal gegeben, er solle dagegenhalten. Jetzt schwebte sein strammer Oberarm mit den schwarzen Härchen nur noch eine Hand breit über der Tischplatte, und der bis zum Bersten angespannte Muskel zuckte und zitterte.
    Nein, Popkow, nein.
    Verdammt noch mal, warum hatte sie so lange gewartet? Dabei wusste sie ganz genau, dass er sich eher den Arm brechen lassen würde, als sich geschlagen zu geben.
    »Verdammt noch mal, Popkow«, schrie sie, so laut sie konnte. »Bist du ein Großmütterchen, eine babuschka , oder was? Jetzt streng dich mal ein bisschen an.«
    Sie sah, wie seine Zähne blitzten, wie er die Schulter reckte. Seine Faust hob sich ein wenig, und sein gesundes Auge starrte dabei den Gegner an.
    »Der ist erledigt!«, rief jemand.
    » Da , heute kann ich mich richtig besaufen!« Heiseres Gelächter.
    »Mach ihn fertig. Jetzt hast du ihn!«
    Schweiß tropfte auf den fleckigen Tisch, und in der aufgeheizten Stimmung bellte sich der Hund in der Ecke immer mehr in Rage, bis jemand ihn mit einem schnellen Tritt zum Verstummen verbrachte. Lydia kämpfte sich unter Einsatz ihrer Ellbogen durch das Gedränge bis zu dem Tisch vor, stellte sich hinter Popkow auf und rieb verzweifelt ihren eigenen rechten Unterarm, als könnte sie damit Popkows Muskeln neues Leben einhauchen.
    Sie konnte es nicht zulassen, dass er verlor. Das ging einfach nicht.
    Zum Teufel mit dem Geld.
    Oben auf dem Treppenabsatz zündete sich Alexej Serow einen schwarzen Stumpen an und schnippte das erloschene Zündholz auf die Zecher unter ihm.
    Das Mädchen war unmöglich. Merkte sie denn gar nicht, was sie da tat?
    Er kniff die Augen zusammen, um die Rauchschwaden zu durchdringen, die in seinem Haar und an seiner Haut hafteten wie der Atem eines Toten. Wahrscheinlich waren da unten etwa dreißig Männer, außerdem eine Hand voll Frauen in ihrer trostlosen Vermummung, den schweren, grauen Röcken und braunen Schals. Das war eines der Dinge, die er an diesem neuen, stalinistischen Russland am meisten hasste: seine Trostlosigkeit. Alle Städte sahen gleich aus. Deprimierender grauer Beton, graue Gewänder und graue Gesichter, trübe Augen, die voller Angst vor Spitzeln um sich blickten, verstockte Münder. Er vermisste die überschwänglichen Farben Chinas ebenso wie ihm seine geschwungenen Dächer und sein munteres Vogelgezwitscher fehlten.
    Lydia unter Kontrolle zu halten, hatte sich als schwieriger herausgestellt, als er dachte. Wenn er ihr aufzählte, welche Gefahren hier lauerten, lachte sie oft nur, dieses unbeschwerte Lachen, das so typisch für sie war, warf ihre flammende Haarmähne in den Nacken und

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