Die Sehnsucht des Freibeuters: Er war der Schrecken der Meere - doch sein Herz war voller Zärtlichkeit. Roman (German Edition)
Lady?«
Widerwillig blieb sie stehen und drehte sich um.
Harding stand in der Tür zur seiner Kajüte und ließ langsam seinen Blick über sie wandern. Er rieb sich mit der linken Hand das Kinn. »Vielleicht sollten wir bei Gelegenheit einmal miteinander reden?«
Lan Meng verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf etwas schief. »Reden?«
Harding grinste. »Habt ihr da nicht so einen alten Piratenbrauch?«
»Wir haben viele«, meinte Lan Meng zurückhaltend.
»Nun, den, den ich meine …«
Harriet hörte den Schluss des Satzes nicht mehr, denn Charles legte den Arm um ihre Schultern und führte sie zu ihrer Kajüte.
»Welchen Brauch meint er denn?«, fragte sie mit großen Augen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um über Charles’ Schulter zu sehen. Lan Meng stand immer noch mit verschränkten Armen da, und Harding hatte ein Lächeln aufgesetzt, das sie an ihm noch nie gesehen hatte. Es hatte einen Charme, der sie an Charles erinnerte.
»Narbenschau«, erklärte Charles mit zuckenden Lippen.
Harriets Augenbrauen schnellten hoch.
Charles drängte sie sachte, aber bestimmt weiter und schloss die Tür hinter ihnen. »Ja, Narbenschau. Das ist eben so üblich unter Piraten.« Zumindest war das Hardings Trick, eine Frau herumzukriegen, was er Harriet jedoch nicht sagte. Er wusste es auch nur deshalb, weil er Harding vor einigen Jahren dabei erwischt hatte, wie er in weinseliger Laune einer jamaikanischen Schönen diesen Vorschlag gemacht hatte.
»Und wie funktioniert das?«
Charles machte einen halbherzigen Versuch, ernst zu bleiben. »Die Piraten zeigen sich gegenseitig die Narben, die sie im Kampf erworben haben. Und wer mehr hat, gilt als tapferer und härter.«
»Oder ungeschickter«, meinte Harriet zweifelnd. Sie zuckte mit den Schultern, als Charles lachte. »Nun, du musst es ja wissen. Schließlich bist du der Pirat von uns beiden.« Ihre Brauen zogen sich zusammen. »Soll das heißen, Harding hat Absichten auf Lan Meng?«
»Hat sie welche auf ihn?«
»Ja«, gab Harriet zu. Sie sah sinnend zur Tür, dann räusperte sie sich. »Also gut, Narbenschau. Ich fange an.«
Charles’ Blick wurde intensiv. »Wie darf ich das verstehen?«
Sie nahm Charles’ Hand und legte seinen Zeigefinger auf eine kleine, kaum sichtbare Narbe an ihrer Stirn. »Die hier habe ich, seit ich mit drei Jahren die Treppe hinuntergefallen bin. Ich kann mich nicht daran erinnern, aber meine Mutter hat mir oft davon erzählt.«
Harriet plazierte seinen Zeigefinger als Nächstes auf ihren Ellbogen. »Und dort habe ich mich mit sieben Jahren schlimm aufgeschlagen.«
Langsam hob sie ihren Rock. Charles’ Blick saugte sich am Saum fest. Sie sah, dass er schneller atmete. Sie lehnte sich an die Schiffswand, während der Saum weiter hinaufwanderte, bis ihr Knie sichtbar wurde. »Und hier habe ich ebenfalls eine Narbe. Da bin ich mit neun Jahren vom Pferd gestürzt.«
Charles kniete vor ihr nieder, nahm ihr Bein sanft in seine Hände, strich langsam daran auf und ab und betrachtete eingehend das Knie. »Du warst ein ungeschicktes Kind.«
»Ja, und ich habe mich nicht gebessert«, gab sie zu. »Aber die größte Verwundung hatte ich hier.«
Charles, der begonnen hatte, die kaum sichtbare Narbe am Knie und die Umgebung mit Küssen zu bedecken, sah hoch. Harriet hatte beide Hände auf ihr Herz gelegt. Seine Augen nahmen jenen warmen, bernsteinfarbenen Glanz an, den sie so sehr liebte. »Ich hatte gedacht, dass ich hier schon einiges geheilt hätte.«
Harriet lächelte auf ihn hinab. »Das hast du, aber ich möchte nicht, dass eine Narbe zurückbleibt.«
»Nicht, wenn es nach mir geht. Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich ausgiebig darum. Aber wirklich gute Ärzte machen eine gründliche Therapie.«
»Und wie geht die?« Harriets Atem ging schneller, als Charles den Rock noch weiter hochschob.
»Sie fangen ganz unten an.« Bei diesen Worten ließ er den Rock über seinen Kopf fallen.
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Sabine Thiele, die das Manuskript wie immer sehr kritisch und professionell durchgesehen und lektoriert hat! Danke auch für die gute und humorvolle Zusammenarbeit!
Susanna Drake
Über Susanna Drake
Susanna Drakes große Leidenschaften sind Geschichte und Schreiben. Nach Jahren in der internationalen Arbeitswelt hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht und schreibt nun mit Begeisterung historische Liebesromane. Auf ihren Reisen in den USA hat sie sich intensiv mit amerikanischer Geschichte
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