Die Seidenbaronin (German Edition)
sagen es selbst: Napoleon besitzt die Übermacht», bemerkte Paulina. «Jeglicher Widerstand nutzt nichts, wenn man dabei Gefahr läuft, selbst das Opfer zu werden.»
«Sie reden wie mein Sohn!», brauste Graf Bahro auf. Seine heftige Reaktion ließ den Konflikt ahnen, der zwischen Christian und seinem Vater entstanden war.
«Ich habe selbst diese Erfahrung machen müssen», sagte Paulina leise, «und hätte sie fast mit dem Leben meines Kindes bezahlt.»
Eine Weile herrschte Schweigen.
«Christian hatte recht!», murmelte der Graf plötzlich. «Er hatte von Anfang an recht. Deshalb ist er diesem Scharnhorst in preußische Dienste gefolgt, ist seinem Heimatland und der Familientradition untreu geworden. Ich habe es nie verstanden, aber jetzt beginne ich zu begreifen, dass er viel weiter geblickt hat als ich. Die Gegner Napoleons müssen erst ihre Kräfte sammeln, sonst werden sie ihn nie besiegen.»
«Schade, dass Ihnen diese Erkenntnis nicht eher gekommen ist», sagte Paulina bitter. «Das hätte Ihnen die Demütigung der Verhaftung und des Gefängnisses erspart. Aber die Zeiten werden sich ändern, Monsieur, und dann wird man Männer wie Sie brauchen.»
«Ich fürchte, dazu ist es zu spät!»
«Zu spät! Was reden Sie! Man wird Sie nicht für immer einsperren.»
Graf Bahro betrachtete sie mit einem sonderbaren Blick. «Nein, Madame, das wird man in der Tat nicht tun.» Er kam auf sie zu. «Für eines ist es jedoch nicht zu spät», sagte er und sah ihr tief in die Augen. «Es ist noch nicht zu spät, an Ihnen etwas wiedergutzumachen.»
«Das fällt Ihnen jetzt ein, Monsieur?»
«Nicht jetzt! Es handelt sich um das Ergebnis nächtelanger Überlegungen. Ich habe meine Meinung in manchen Dingen geändert. Deshalb war es mir so wichtig, Sie zu sprechen.»
«Falls es um meine Verbindung zu Ihrem Sohn geht – ich lege auf Ihre Meinung keinen Wert mehr.»
«Mein Anliegen ist um einiges komplizierter. Madame, ich habe erfahren, dass auch Sie geheime Komplotte gegen Napoleon schmieden.»
Paulina wich zurück und blickte sich wie gehetzt um. «Sie müssen sich täuschen, Monsieur! Ich bin die Gattin eines Pariser Senators und Mitglied der französischen Hofgesellschaft.»
«Es ist nicht der Zeitpunkt, die Unwissende zu spielen. Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass Sie sich auf schmalem Grat bewegen. Zu viele Leute haben bereits von Ihren Aktivitäten erfahren. Ziehen Sie sich zurück, bevor es für Sie zu spät ist!»
«Das ist blanker Unsinn, was Sie da reden!», erwiderte Paulina mit aufkommender Panik.
«Leider nicht, Madame. Ich kann Ihnen nur dringend raten, sich vorzusehen!»
«Im Gegensatz zu Ihnen weiß ich sehr wohl, was ich tue.»
«Wollen Sie alles verlieren? Ihre Seidenmanufaktur, Ihr Ansehen, Ihre gesellschaftliche Stellung und … Ihre Liebe zu Christian?»
«Ist es nicht das, was Sie immer wollten?», rief Paulina erbost aus.
«Fahren Sie unter keinen Umständen weiter nach Berlin, Madame!», beschwor Graf Bahro sie mit gesenkter Stimme. «Kehren Sie nach Paris zurück und erweisen Sie Napoleon Ihre Huldigung. Überzeugen Sie ihn, dass Sie zu seinen treuesten Untertanen gehören!»
Paulina schüttelte abwehrend den Kopf. «Woher weiß ich, dass Sie mich nicht erneut von Ihrem Sohn fernhalten wollen? Sie möchten nur verhindern, dass Christian und ich uns wiedersehen!»
«Christian und Sie werden sich nicht wiedersehen, wenn Sie weiter nach Berlin fahren.» Von Bahro umfasste mit beiden Händen ihre Arme und drückte sie so fest, dass es beinahe schmerzte. «Sie werden von der Bildfläche verschwinden! Man wird Sie Berlin nicht erreichen lassen!»
«Wer hat Ihnen das gesagt?»
«Ich weiß es, Madame, und alleine diese Tatsache zeigt Ihnen, dass Ihre Tarnung der umtriebigen Geschäftsfrau und französischen Adeligen längst keine mehr ist. Hat man Ihnen in Paris keine Andeutungen gemacht?»
«Doch, ja …», flüsterte Paulina verwirrt.
Der Graf ließ von ihr ab und drehte sich um. «Ich wollte um alles in der Welt vermeiden, dass Christian Sie heiratete. Aber auch, nachdem ich damals Ihr Wiedersehen in Blommersforst verhindert hatte, konnte er Sie nicht vergessen. Er ließ sich von seinem General mit irgendeiner geheimen Mission nach England schicken. Als er wiederkam, dachte ich, dass er Sie endlich überwunden hätte und in den hannoverschen Staatsdienst eintreten würde. Stattdessen wechselte er mit Scharnhorst zur preußischen Armee. Dann erfuhr ich, dass Sie mit Ihrem Gatten nach
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