Die Seidenbaronin (German Edition)
Weibergeschichten.»
«Können wir Ihnen nicht wenigstens eine Erfrischung anbieten, Madame?», fragte die andere anwesende Dame mit sanfter Stimme.
«Ich glaube kaum, Frau von Engelen, dass die Gräfin Bahro unsere Gastfreundschaft mehr als nötig beanspruchen möchte», stichelte Alexander weiter, und seine Augen funkelten spöttisch. «Man kann versichert sein, dass meine Tante nicht von dem dringenden Wunsch beseelt ist, uns zu sehen. Sie wird einen triftigen Grund haben, dieses Haus zu betreten. Allerdings geht es dabei gewiss – wie schon seit jeher – nur um ihre eigenen Interessen.»
«Unterstellen Sie der Frau Gräfin doch nicht gleich so böse Absichten», wies Frau von Engelen den jungen Mann zurecht.
«Lass es gut sein, mein Sohn», meinte auch der alte Baron und legte seine knöchrige Hand auf den Arm der Gräfin. «Wir wollen die alten Geschichten nicht wieder aufwärmen. Verraten Sie uns lieber, was Sie zu uns führt.» Müde trottete er zu seinem Platz zurück.
Die gebieterischen Augen der Gräfin Bahro wanderten über den Tisch. «Warum ist Sophie nicht hier?»
«Die gnädige Frau ist oben in ihrem Schlafgemach», antwortete Frau von Engelen. «Sie verlässt kaum noch ihr Zimmer. Der Arzt sagt, dass sie abgesehen von ihrer körperlichen Schwäche zudem von einer schweren Melancholie befallen ist. Zuletzt gab es nichts mehr, was sie aufheitern konnte.»
Die Gräfin Bahro lauschte dem Bericht mit regungslosem Gesicht. «Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlecht um Sophie steht. Freilich hat es mich gewundert, dass sie in letzter Zeit nicht mehr geschrieben hat. Meinen Sie, dass sie in der Lage ist, mit mir zu reden? Ich muss etwas Wichtiges mit ihr besprechen.»
«Auf keinen Fall!», rief Frau von Herben mit schriller Stimme. «Der Arzt sagt, man darf sie nicht unnötig belasten.»
«Sind Sie auch dieser Meinung, Frau von Engelen?»
Die Angesprochene nickte. «Ich muss Frau von Herben recht geben. Frau Sophie ist nicht in der Verfassung, Entscheidungen zu treffen. Sie unterliegt heftigen Stimmungsschwankungen und redet manchmal tagelang kein Wort.»
«Ja, ja», meckerte der alte Baron und streckte anklagend seinen Zeigefinger in die Luft, «hören Sie nur genau zu, Charlotte, mit was für Sorgen Sie mich hier alleine zurückgelassen haben! Mir bricht es das Herz, wenn ich sehe, was aus meiner Tochter geworden ist.»
Die Gräfin drehte sich mit wütendem Gesicht zu ihm um. «Ihnen bricht das Herz – dass ich nicht lache! Wieso haben Sie Sophie nicht schon längst nach Schloss Allenhofen gebracht? In der Luft des Odenwalds würde sie viel eher gesund werden als hier in der Stadt!»
«Als ob das so einfach wäre! Wer hat denn die Leitung von Allenhofen meinem Sohn Georg übertragen? Das waren Sie, Madame! Und das, obwohl Sie genau wussten, wie Georg ist: herzlos und nur auf seinen Vorteil bedacht. Möchten Sie hören, was Georg mir geantwortet hat, als ich ihn bat, seine Schwester zu sich zu nehmen? Nun, er und seine werte Gattin wollten sich nicht mit einer Kranken und ihrer Tochter belasten.» Der Baron beugte sich über den Tisch und sah mit hämischer Miene zur Gräfin empor. «Im Vertrauen gesagt, glaube ich aber eher, dass sie Angst davor hatten, noch zwei zusätzliche Mäuler stopfen zu müssen. Georg scheint seine Schwierigkeiten mit der Bewirtschaftung von Allenhofen zu haben.»
Die Gräfin stieß ein bitteres Lachen aus. «Das ist aber noch gelinde ausgedrückt, mein Lieber! Wollen Sie hören, wie es um Allenhofen steht? Die Berichte des Verwalters waren so beunruhigend, dass mir nichts anderes übrigblieb, als von Hannover hierherzureisen, um mir persönlich ein Bild von der Lage zu machen. Leider wurden meine schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen. Georg ist drauf und dran, den Besitz zu ruinieren. Aber was kann man auch von einem Mann, der unter Ihren Fittichen aufgewachsen ist, erwarten!»
Alexander legte seine Unterarme auf den Tisch. «Tja, beste Tante, und jetzt kommt zu all den missratenen Mitgliedern dieser nichtsnutzigen Sippschaft auch noch eine Geisteskranke dazu.»
Während der alte Baron wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte, wechselten die beiden Frauen einen kurzen Blick. Der junge Mann hingegen lehnte sich genüsslich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
«Seien Sie endlich still, Onkel!», ertönte in diesem Augenblick eine helle Mädchenstimme. «Sie sind wie immer unerträglich!»
Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden richtete
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