Die Seidenstickerin
was ist mit mir?«, rief ihre Kameradin fröhlich und zeigte ihre Arbeit aus Feingold. »Seht Euch das an – ist meine Stickerei etwa nicht so schön wie die von Gaëlle?«
»Doch, Ihr habt recht«, gab Louise de Chatillon zu, »Ihr seid beide wahre Künstlerinnen.«
»Ach, Mademoiselle Blanche«, meinte Eloïse jetzt, »die Königin hat Euch ja schon einige Male zu Meister Yann geschickt, und immer haltet Ihr Lobreden auf unsere Arbeit. Die größte Freude würdet Ihr uns aber machen, Gaëlle und mir, wenn wir mit Euch ins Val de Loire kommen dürften. Glaubt Ihr, das wäre möglich?«
»Ich möchte aber lieber in Nantes bleiben«, wandte Annette ein, die auch nicht darum gebeten hatte, dass sich Louise oder Blanche mit ihrer Arbeit beschäftigten.
»Oh ja! Was meint Ihr dazu?«, rief jetzt auch Gaëlle.
Louise sah sich nach allen Seiten um und vergewisserte sich erst, dass ihnen niemand zuhörte, ehe sie leise sagte: »Die Königin wünscht mehrere Stickerinnen. Ich glaube, für euch drei ist Platz.«
Da sahen sie auf einmal das kleine Mädchen daherkommen, das seit Jacquous Erscheinen in der Werkstatt von seinem Anblick fasziniert schien.
»Oh! Und was wird dann aus mir, wenn ihr alle drei weggeht?«
Sie hatte Tränen in den Augen und sah so traurig aus, dass sie Annette in die Arme nahm.
»Ich geh nicht weg«, beruhigte sie die Kleine. »Du hast doch gehört, dass ich in Nantes bleiben will.«
»Wer ist dieses Mädchen?«, wollte Louise de Chatillon wissen.
»Sie heißt Alix und ist ein Waisenmädchen, um das wir uns alle drei kümmern. Ihr Vater starb bei der letzten Pest, als sie gerade eben auf die Welt gekommen war, und ihre Mutter ist letztes Jahr gestorben. Sie hatten beide hier bei uns als Sticker gearbeitet. Deshalb hat Meister Yann Alix in seine Werkstatt genommen, obwohl sie noch so jung ist. Sie muss die fehlerhaften Fäden sortieren – das ist eine Arbeit, die ein Mädchen in ihrem Alter ohne weiteres machen kann.«
»Wie alt bist du denn?«, fragte sie Blanche.
»Ich bin acht.«
»Du siehst aber älter aus. Das liegt wahrscheinlich daran, dass du schon sehr groß bist.«
»Ja. Ich behaupte oft einfach, dass ich dreizehn bin, und die Leute glauben es mir.«
»Wieso willst du dich denn älter machen als du bist?«
»Weil mir die Gesellschaft von Erwachsenen lieber ist als die von Kindern. Was soll denn nur aus mir werden, wenn meine Freundinnen aus der Werkstatt von Meister Yann weggehen? Kann ich nicht vielleicht mitkommen?«
»Ich bleibe hier«, wiederholte Annette, »das habe ich dir doch gesagt.«
Nun postierte sich Blanche vor dem jungen Mädchen, das sich weigerte, seine Geburtstadt zu verlassen. Hocherhobenen Kopfes und mit entschlossener Miene musterte Annette die Hofdame fast ein bisschen hochnäsig.
»Und was würdet Ihr sagen, wenn Euch die Königin viel bessere Konditionen böte als Meister Yann?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Das Leben am Hof von Königin Anne übertrifft alles, was Ihr Euch überhaupt vorstellen könnt«, mischte sich jetzt auch Louise ein. »Außerdem sind ihre Stickerinnen längst nicht so abhängig wie die Zofen, die immer in ihrer Nähe sein müssen.«
Annette schien zu überlegen, und Alix sah sie ängstlich an. Aber Blanche wollte keine Zeit verlieren.
»Die Arbeitsbedingungen in den Werkstätten von Amboise sind ziemlich hart, und die Arbeit dort erfordert großen Einsatz; dafür haben die Stickerinnen aber alle Freiheit und werden sehr ordentlich bezahlt.«
»Nein, Annette!«, rief Alix. »Bitte, bitte, lass mich nicht allein! Ich gehe auf keinen Fall in so ein ödes Kloster, wo man eine Nonne aus mir machen will.«
»Liebst du denn etwa nicht Gott und die Jungfrau Maria?«, fragte Louise und lächelte das Mädchen an.
»Doch, aber …«
»Aber die Seidenfäden mag sie noch lieber«, kam ihr Gaëlle zu Hilfe.
»Du musst keine Angst haben«, sagte Louise. »Wir finden schon eine Lösung, sollten deine Freundinnen mit uns kommen.«
»Nehmt Ihr mich dann mit?«
»Mal sehen. Jetzt mach dich erstmal wieder an die Arbeit. Wenn dich Meister Yann hier bei uns sieht, wird er mit dir schimpfen – und das zu Recht.«
Als sie dann in ihre Ecke zurückging, um weiter ihre Fäden zu sortieren, wurde sie dort von Jacquou erwartet.
»Willst du mit den anderen mit?«, fragte er sie.
»Vielleicht, ich weiß es nicht.«
»Wenn du weggehst, sehe ich dich nicht wieder.«
Mit dieser Feststellung schien er sie ganz aus der Fassung zu
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