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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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ihm sagen ließen und ihm die Stirn boten.
    Als Meister Yann jetzt die angriffslustige Haltung von Eloïse bemerkte, nahm er deshalb seinen Freund Pierre am Arm und sagte leise zu ihm: »Ich mische mich nur äußerst ungern in ihre Streitereien ein, weil ich meinem Vorarbeiter nicht unrecht geben will und es aber auch sehr unerfreulich finde, wenn ich meine begabten Arbeiterinnen vor allen anderen kritisieren soll. Lass uns in mein Arbeitszimmer gehen, Pierre. Wenn wir zurückkommen, haben sie ihren Streit beendet.«
    Yaël war ein korpulenter, aber kräftiger kleiner Bretone mit den schmalen Augenschlitzen einer schlafenden Katze, die sich nur richtig öffnen, wenn Beute näher kommt. In Wahrheit war das aber wahrscheinlich nur ein raffinierter Trick, weil Yaëls blauen Augen nichts entging, weshalb er wohl auch eben irgendeinen Händel mit der jungen Eloïse hatte.
    »Du musst deine Kettenfäden korrigieren«, sagte er streng und deutete mit dem Finger vage auf die Umrisse des Wappens, das die junge Frau gerade übertrug.
    Wie immer, wenn Yaël sie kritisierte, reagierte Eloïse empört.
    »Es handelt sich hier aber nicht um eine Tapisserie«, gab sie ihm spitz zurück.
    Jedes Mal wenn sich Eloïse diesen Scherz erlaubte, und zwar mit lauter Stimme, damit es auch jeder hören konnte, wurden alle daran erinnert, dass Yaël vor seiner Zeit als Sticker Tapissier gewesen war. Ein Unglücksfall hatte ihn ruiniert und dazu gezwungen, seine Werkstatt aufzugeben und bei einem anderen Meister zu arbeiten. Bei Meister Yann wurde damals eine Stelle als Vorarbeiter frei, und Yaël hatte sie angenommen.
    Sticken und Weben ist in etwa so grundverschieden wie Zeichnen und Malen. Der Zeichner legt die Umrisse fest, die der Maler dann ausfüllt. Die Stickerei ist nicht wesentlicher Bestandteil des Gewebes, das beim Weben direkt auf dem Webstuhl hergestellt wird. Sie ist Schmuck, der zusätzlich auf dem Stoff angebracht wird, nachdem er gewebt, gefärbt und appretiert wurde. Tapisserie bedeutet also eine Gewebeart, während Stickerei ein zusätzlicher Trumpf für tausenderlei schön anzusehende Phantasien ist.
    Ist nicht mehr zu sehen, wie der Grundstoff angefertigt wurde, könnte sich mancher Laie täuschen. Auf den ersten Blick lässt sich der Unterschied nämlich nicht erkennen. Der berühmte Teppich von Bayeux, den Bischof Odo von Conteville, der Halbbruder von Wilhelm dem Eroberer, vierhundert Jahre zuvor für das Bischofspalais der Stadt in Auftrag gegeben hatte, ist das beste Beispiel dafür.
    »Und richte deinen Unterzug wieder auf!«, gab Yaël zurück, weil er keine Lust hatte, sich von einem kampflustigen Tratschweib lächerlich machen zu lassen, auch wenn es noch so begabt war. »Schließlich arbeitest du hier an einer Leinwand.«
    »Aha! Na und?«, erwiderte Eloïse und sah ihm frech ins Gesicht. »Vielleicht ist das hier eine Leinwand, die für die Pferdedecken der Zelterpferde von Königin Anne bestimmt ist, aber deswegen ist es noch lange keine Tapisserie.«
    »Lass diese Rechthaberei. Du musst immer auf die gleiche Weise vorgehen, bis die Leinwand vollständig bestickt ist.«
    Eloïse richtete sich herausfordernd auf und durchbohrte mit ihren grünen Augen den eingebildeten Yaël.
    »Ich besticke sie aber nur zum Teil.«
    »Wagst du es etwa, dich meinen Befehlen zu widersetzen?«, sagte Yaël, und seine Stimme wurde lauter.
    »Ich wage zu sagen, dass ich diese Decke so mache, wie ich will. Königin Anne wünscht Kettenstiche, nichts sonst. Also muss ich meinen Unterzug nicht aufrichten, um diese Leinwand vollständig zu bearbeiten.«
    Yaël blieb beinahe die Luft weg. Sein Gesicht lief auf einen Schlag rot an, und er schrie in einer Lautstärke, die mit seiner Wut zunahm: »Wer gibt dir das Recht, so daherzureden? Hast du vielleicht vergessen, dass du nur eine einfache Arbeiterin bist?«
    »Jeder weiß doch«, wandte Gaëlle, die es kaum erwarten konnte, sich in die Diskussion einzumischen und die dem anmaßenden Vorarbeiter genauso gern widersprach, honigsüß ein, »dass Königin Anne für die Pferdedecken ihrer Zelter geschmeidige Stickerei bevorzugt. Die Damen Montbron und Chatillon haben uns das soeben wieder bestätigt.«
    Verzweifelt suchte Yaël nach einer Entgegnung, mit der er diesen dummen Gänsen den Wind aus den Segeln nehmen konnte; irgendwie fiel ihm aber immer nur die gleiche Bemerkung ein:
    »Ihr könnt ja gehen, wenn es euch hier nicht passt! Arbeit gibt es auch anderswo. Und dann werdet ihr schon

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