Die Sexklinik
wollte ich ihre Anonymität wahren,
wie ich das bei jedem Patienten getan hätte.«
»Hat sie Ihnen erzählt, warum
sie zurückgekehrt ist?«
Er trommelte ein Stakkato auf seinen
Schreibtisch. »Irgend etwas über einen heftigen Streit mit ihrer Schwester. Sie
scheint die Klinik als eine Art Zuflucht zu betrachten. Das hat mir zwar nicht
ganz eingeleuchtet, aber bestimmt kann es ihr keinesfalls schaden, eine Weile
bei uns zu bleiben.«
»Besonders, wenn sie für dieses
Privileg auch noch zahlt«, nickte ich.
»Aus Ihrem Mund klingt diese
Bemerkung ausgesprochen philisterhaft«, höhnte er. »Aber ich kann nicht
glauben, daß Sie zu dieser späten Zeit nur deshalb hier vorbeigekommen sind, um
Caroles Gründe für eine Rückkehr in die Klinik zu diskutieren.«
»Stimmt«, sagte ich. »Ich
möchte gern Avril Pascal besuchen.«
»Zu welchem Zweck?«
»Ich arbeite jetzt an diesem
Auftrag seit etwa 72 Stunden«, erläuterte ich. »Und weder Ellen Drury noch Beverly
Hamilton konnten mich mit einer Spur zu Baker versorgen. Avril Pascal ist meine
letzte Hoffnung.«
»Ich fürchte, Sie können sie
unmöglich jetzt stören«, sagte er kurz angebunden. »Sie hat sich bereits für
die Nacht zurückgezogen.«
»Dann wecken Sie sie eben auf!«
Ohne Eile nahm ich einen
weiteren Schluck aus meinem Glas und wartete, während das Schweigen im Raum
sich unheilvoll verdichtete.
»Ich sage Ihnen doch«, begann
Landel dann ärgerlich, »es ist unmöglich!«
»John«, erklang eine muntere
Stimme in meinem Rücken, »mir fällt gerade ein, wir... Oh, tut mir leid, ich
habe nicht gemerkt, daß Sie Besuch haben.«
Ich wandte mich um und sah Jane
Wintour in der Tür stehen, mit einem leicht entschuldigenden Ausdruck im
Gesicht. Wenn ich sie nicht seinerzeit in dieser wilden Lederaufmachung gesehen
hätte, wäre ich leicht zu überzeugen gewesen, daß sie nie im Leben etwas
anderes getragen hatte als weiße Schwesterntracht. Ihre großen dunklen Augen
musterten mich unpersönlich und hefteten sich dann auf Dr. Landel.
»Bedauere, wenn ich Sie
unterbrochen habe, Doktor«, sagte sie förmlich. »Ich komme später wieder.«
»Vielleicht ist es besser, Sie
bleiben«, sagte ich. »Wir schlagen uns mit einem kleinen Problem herum, und
vielleicht könnten Sie uns helfen, es zu lösen.«
»Wundern Sie sich nicht, warum
Boyd so plötzlich zu dieser Nachtzeit hier erschienen ist«, sagte Landel mit
mühsamer Geduld. »Er ist von der Idee besessen, daß einzig Miss Pascal ihm
helfen kann, Baker aufzuspüren.«
»Aber es ist viel zu spät«,
sagte Jane um eine Spur zu schnell. »Vielleicht versuchen Sie es noch einmal
morgen vormittag?«
»Ist Charles Voight noch im
Hause?« erkundigte ich mich.
»Voight?« Landel runzelte die
Stirn, dann schüttelte er den Kopf. »Er ist gegen fünf Uhr gegangen.«
»Ich muß mit Avril Pascal
sprechen«, beharrte ich.
»Vielleicht sollte ich mich
morgen früh einmal mit Voight unterhalten«, murmelte Landel. »Ganz
offensichtlich muß ich meinen Verstand analysieren lassen, weil ich Sie damals
engagiert habe.«
Jane Wintours Augen wurden um keine
Spur persönlicher, als ich sie direkt fixierte. »Diese lange blonde Perücke und
der schräge Lederbikini«, sagte ich, »das war wirklich raffiniert. Und wie Sie
so schön sagten, haben Sie mir damit eine tüchtige Quittung verpaßt, daß ich
Sie am Anfang unserer Bekanntschaft so auf den Arm nahm. Aber daß dieses kleine
Theater gleichzeitig auch verhinderte, daß ich Avril Pascal kennenlernte, war
wohl reiner Zufall? Allmählich scheint sie mir äußerst menschenscheu zu sein.
Gestern brauchte sie reichlich Zeit, um sich an den Gedanken eines neuen
Substituten zu gewöhnen, deshalb mußte ich bis zum nächsten Tag warten. Heute
ist dieser Tag, aber jetzt schläft sie und kann nicht gestört werden. Was ist
eigentlich mit Avril Pascal los? Hat sie der Schlag gerührt und haben Sie sie
zusammen mit des Doktors Schnapsflasche in Ihrem Aktenschrank begraben?«
»Wenn Sie doch bloß die Tür von
außen zumachen würden, Boyd«, sagte Dr. Landel mit wachsender Verzweiflung in
der Stimme. »Sie könnten mir keinen größeren persönlichen Gefallen tun, als
wenn Sie einfach vergessen wollten, daß ich Sie jemals engagiert habe; für die
aufgewandte Zeit dürfen Sie mir ruhig eine Rechnung schicken.«
»Kommt nicht in Frage«,
konstatierte ich.
»John?« Zum erstenmal, seit ich
sie kannte, stellte ich leichtes Zögern in Jane Wintours Stimme fest.
»Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher