Die sieben Häupter
Vater, dem mächtigen Grafen Heinrich von Anhalt. »Nun, immerhin hat ihr Vater sie nicht bettelarm und hoch verschuldet zurückgelassen«, versetzte er gehässig. »Das Glück ist nicht allen beschieden, nicht wahr?«
Ludger nickte mit einem liebenswürdigen Lächeln. »Ich bin arm, das ist richtig, aber das werde ich nicht ewig sein, weißt du. Du hingegen bist eine häßliche fette Kröte, und ich habe Zweifel, ob sich daran je etwas ändern wird …«
Henner bewegte sich schneller, als es der junge Ritter je für möglich gehalten hätte, riß seinen Dolch aus einer Scheide am Gürtel und führte damit einen tückischen Stoß auf Ludgers Nabelgegend. Der wich jedoch mühelos aus und lachte. »Oh, die Kröte hat einen Stachel, ja gibt’s denn so etwas?« Doch in Wirklichkeit war er nicht wenig erschrocken. Es war ihm nicht neu, daß der Erbe seines Herrn unberechenbar und voller Heimtücke war, aber es war ihm nie in den Sinn gekommen, daß der elfjährige Bengel tatsächlich gefährlich sein könnte. Er ließ die Hand mit dem Dolch nicht aus den Augen, fing sie beim nächsten Stoß mit der Linken ab und bog sie nach hinten, so daß der Junge aufjaulte und die Klinge fallen ließ.
Ludger gab sein Handgelenk frei, hob den Dolch aus dem Gras auf und reichte ihn ihm mit einer spöttischen Verbeugung, die Laute immer noch in der rechten Hand. »Steck ihn weg. Und laß mich dir einen Rat geben: Es will gut überlegt sein, gegen wen man eine Klinge zieht. Du solltest dich zuvor immer fragen, ob es sich lohnt und ob du deinen Gegner besiegen kannst. Denn es mag ebenso dein Blut sein wie seins, das fließt. Hast du verstanden?«
Zornestränen schimmerten in Henners wäßrig blauenAugen. Er brachte kein Wort heraus, riß Ludger die Waffe aus der Hand und stapfte davon. Im Gehen steckte er seinen Dolch zurück in die Scheide.
Ludger kehrte zu dem niedrigen, moosbewachsenen Mäuerchen nahe dem Pferdestall zurück, auf dem er gesessen und die Laute gespielt hatte, bevor er die kleinen Kampfhähne entdeckte, und nahm wieder Platz. Aber er spielte nicht weiter. Ebenso gedankenverloren wie liebevoll strich er über den schmalen Hals des Instruments, schaute zu der großen Backsteinhalle hinüber und wünschte plötzlich, sein Onkel Eike wäre noch hier.
Eike von Repgow war ein gelehrter, hochgeachteter Mann und gehörte zu Graf Heinrichs engsten Vertrauten. Vor einem knappen Jahr hatte er den Neffen im Haushalt des Grafen untergebracht, nachdem er erkannt hatte, daß Ludgers Liebe zum Lautenspiel und zu schönen Versen mehr als eine vorübergehende Laune war. Graf Heinrich von Anhalt war nicht nur ein mächtiger Reichsfürst, sondern ebenso ein gefeierter Dichter, der an seinem Hof gern Spielleute und Verseschmiede um sich sammelte, wann immer seine Zeit und die politische Lage es zuließen. Und Ludger war seinem Onkel dankbar. Endlich war er dem Stumpfsinn ihres bescheidenen heimischen Guts in Repgow entkommen, wo er sich seit der Rückkehr aus der Klosterschule wie lebendig begraben gefühlt hatte. Hier hatte er Musiker getroffen, von denen er viel lernen konnte, nicht zuletzt Graf Heinrich selbst. Aber Freunde hatte er nicht gefunden. Am Hof des Grafen gab es zuviel Neid und Mißgunst, zu viele Intrigen. Ludger fürchtete immer, in diesen Sumpf hineingezogen zu werden und darin zu ertrinken, wenn er hier irgendwem die Hand reichte.
Vermutlich war er gar zu vorsichtig. Es war ihm noch nie leichtgefallen, Vertrauen zu fassen. Er war es einfach gewohnt, allein zu sein. Sein Vater, Ludwig von Repgow, hatte wenigeWochen vor Ludgers Geburt mit dem Grafen von Flandern das Kreuz genommen und war bei der Einnahme von Konstantinopel gefallen. Ludwigs junge Frau war bei der Geburt verblutet. So blieb Ludger allein zurück. Eine Geschichte, wie es zahlreiche gab. Und er hatte mehr Glück gehabt als viele andere, denn die beiden Brüder seines Vaters, vor allem sein Onkel Eike, hatten immer für ihn gesorgt. Ludger hatte nie gehungert, nie gefroren, hatte nie in Lumpen gehen müssen. Doch Onkel Hartmann, der älteste Bruder seines Vaters, war ein schroffer, manchmal tobsüchtiger Mann, der keine Zuneigung für seinen Neffen empfand und seine eigenen Söhne, die ihm ähnlich waren, vorzog. Onkel Eike hatte weder Frau noch Kinder und lebte allein für seine gelehrten Schriften und vor allem für das umfassende Rechtsbuch, welches er verfaßt hatte und gerade zu übersetzen begann. Darum hatte auch er seinem Neffen nie viel Zeit oder
Weitere Kostenlose Bücher